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Berner Regierungspräsidentin Evi Allemann: «Wir sind nicht da, um Widerstand auszulösen»
Die neue Berner Regierungspräsidentin Evi Allemann spricht über Digitalisierung, Dialog als Selbstzweck und freiwillige Fusionsbemühungen.
Evi Allemann, vor knapp drei Wochen sind Sie Regierungsratspräsidentin geworden. Was hat Sie am meisten überrascht?
Ich freue mich vor allem auf die vielen neuen Begegnungen und Einblicke, die ich ohne die Funktion als Regierungspräsidentin nicht hätte. Es gehen Türen auf, die mir sonst verschlossen blieben, zum Beispiel am kantonalen Jodlerfest. Es sind Einblicke in Welten, die ich sonst so kaum hätte.
Und doch scheint sich wenig zu ändern: Als Schwerpunkt haben Sie die Digitalisierung gewählt, die Sie schon seit Ihrer Wahl 2018 ins Zentrum gestellt haben. Warum?
Dranzubleiben und Herausforderungen auch langfristig anzugehen, ist gerade bei Themen wie der digitalen Transformation wichtig. In einer Welt, die immer komplexer wird, wollen wir möglichst einfache Lösungen bringen. Viele davon beruhen auf der Digitalisierung. Am Ende trägt das auch zur Lebensqualität bei, die unseren Kanton für die Bevölkerung und die Wirtschaft attraktiv macht. Vor allem aber steht in diesem Jahr ein Meilenstein dafür an: Der Startschuss für ein Projekt zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs.
Heute müssen die meisten amtlichen Dokumente in der Verwaltung noch von Hand unterschrieben werden, damit sie gültig sind. Das klingt, als sei die Digitalisierung auch im Kanton Bern trotz allem noch nicht so fortgeschritten …
Vieles kann schon elektronisch signiert werden, aber der Rechtsverkehr ist davon noch ausgenommen, und zwar in allen Verwaltungen. Der digitale Rechtsverkehr ist ein riesiger Schritt für die durchgängige Digitalisierung, den wir aktiv angehen wollen. Aber der Kanton Bern hat durchaus digitale Leuchtturm-Projekte.
Inwiefern?
Mit Projekten wie eBau, ePlan, eMitwirkung oder eUmzug erbringen wir viele Leistungen heute orts- und zeitunabhängig. Dazu kommen Online-Karten für die Raumplanung, die Religionslandkarte, Online-Anträge für Prämienverbilligungen … Wenn ich zurückblicke, sehe ich viele Dienstleistungen, die wir in den letzten Jahren digitalisiert haben.
Es sind Projekte, gegen die auch kaum jemand etwas einzuwenden hat. Machen Sie es sich mit solchen Schwerpunkten nicht zu einfach?
Im Gegenteil! Wir sind da, um Dienstleistungen zu erbringen – nicht, um Widerstand auszulösen. Ich habe den Anspruch, dass unsere Vorschläge eine breite Akzeptanz haben und möglichst vielen Menschen einen Nutzen bringen. Diese Tools sind keine Spielereien, sondern wichtige Arbeitsinstrumente für die Verwaltung, für die Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger. Wenn sie zuverlässig funktionieren, trägt das zum Einbezug der Bevölkerung enorm viel bei.
Gerade in der Raumplanung ist dieser Einbezug zentral. Was bringen diese Vereinfachungen hier?
Siedlungsentwicklung nach innen ist komplex. Mit dem heutigen gesetzlichen Rahmen wird sie nicht einfacher. Umso wichtiger ist unser Anspruch, trotz der inhaltlichen Komplexität möglichst einfache und effiziente Verfahren zu etablieren. Im Dialog mit den Gemeinden haben wir Massnahmen diskutiert und umgesetzt. So ist zum Beispiel heute vor jedem Planerlassverfahren ein Startgespräch Pflicht.
Mit Dialog allein sind viele Probleme noch nicht gelöst …
Natürlich nicht. Und die Interessenkonflikte bleiben in der Raumplanung stets bestehen. Aber die Akzeptanz eines Vorhabens ist höher, wenn man kooperativ startet und von Anfang an weiss, wo die Stolpersteine liegen. Dialog an sich hat keinen Selbstzweck. Aber es ist nicht meine Art, einfach auf gut Glück eine Gesetzesänderung ausarbeiten zu lassen und dann zu staunen, wenn sie nicht gut aufgenommen wird. Das Gespräch steht für mich am Anfang jedes aktiven Angehens einer Herausforderung.
Welche Herausforderungen sehen Sie denn für den Kanton Bern?
Es gibt in unserem Kanton sehr vieles, was uns attraktiv macht; als Arbeits-, aber auch als Wohnstandort. Damit wir diese Vielfalt aufrechterhalten können, müssen wir die Entwicklungen aber aktiv begleiten. Das tun wir etwa bei den Agglomerationsprogrammen, mit denen Siedlung und Verkehr optimal aufeinander abgestimmt werden.
Es sind Entwicklungen, die vor allem rund um die grossen Zentren stattfinden: In Schwerpunktgebieten wie Ausserholligen oder Wankdorf.
In den Zentren läuft zwar am meisten. Aber man darf nicht unterschätzen, dass Bern ein dezentraler Kanton ist: Wir haben über 40 raumplanerische Entwicklungsschwerpunkte. Dazu gehören hoch komplexe Gebiete wie der Premium-Standort ESP Wankdorf ebenso wie ESP an den Bahnhöfen in Langenthal, Herzogenbuchsee, Burgdorf, Thun oder Interlaken.
Vor sieben Jahren wurde im Grossen Rat die Idee diskutiert, bis ins Jahr 2050 die Anzahl Gemeinden auf 50 zu beschränken. Wie realistisch ist das?
Das ist eine spannende Idee, aber unrealistisch umzusetzen. Unsere Fusionspolitik setzt auf Freiwilligkeit und gutes Förderinstrumente. Wir wollen keine Revolution der Gemeindelandschaft, sondern leistungsfähige Gemeinden erhalten. Denn der Kanton ist nur so stark wie seine Gemeinden es sind. Es ist erfreulich, dass der Grosse Rat jüngst dem neuen Instrument eines Zentrumsbonus zugestimmt hat und wie offen viele Gemeinden darauf reagieren.
Gleichzeitig ist das Bedürfnis danach nicht überall gleich gross.
Solange die Gemeinde ihre Aufgaben erfüllen kann und eine gute Zusammenarbeit mit den Nachbargemeinden hat, ist der Fusionsschritt nicht zwingend nötig. Wir wollen strategischere Fusionen fördern: Weniger Zweierfusionen aus der Not heraus. Wir versuchen, Impulse zu setzen, dass ein grösserer Perimeter angepeilt wird. In einem funktionalen Raum, den die Bevölkerung meist sowieso als solchen wahrnimmt und gar nicht merkt, wenn sie eine Gemeindegrenze überschreitet. Als ich vor sechs Jahren mein Amt angetreten habe, waren wir bei fast 350 Gemeinden; heute sind es noch 335. Die Zahl geht langsam, aber stetig zurück.
Sie blicken schon jetzt auf über zwei Jahrzehnte in der Politik zurück. Wie geht es danach für Sie weiter?
Ich werde ein politischer Mensch bleiben. Jetzt bin ich aber erstmal Regierungspräsidentin. Als solche sehe ich umso mehr, wie vielfältig der Kanton und die Aufgaben der Regierung sind. Ans Aufhören denke ich nicht.
Zur Person:
Evi Allemann (1978) ist seit 2018 Regierungsrätin im Kanton Bern und seit Anfang Juni turnusgemäss Regierungspräsidentin. Seit ihrem Eintritt in den Regierungsrat steht sie der Direktion für Inneres und Justiz (DIJ) vor. Die gebürtige Seeländerin studierte Rechtswissenschaften an der Universität Bern und schloss mit dem Lizenziat ab. Allemann begann ihre politische Karriere früh: 1997 trat sie den Jungsozialisten (Juso) bei, ein Jahr später wurde sie in den Grossen Rat gewählt. 2003 wechselte sie in den Nationalrat, wo sie bis zu ihrer Wahl zur Regierungsrätin 2018 politisierte. Dazwischen war sie Präsidentin des Verkehrs-Clubs der Schweiz sowie des Mieterinnen- und Mieterverbands Kanton Bern; sie kandidierte zudem zweimal für einen Sitz im Bundesrat.