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«Wir fahren heute nicht mehr mit der Kutsche in die Stadt»
Die Könizer Gemeindepräsidentin Tanja Bauer spricht darüber, wie die Grossregion Bern wächst und warum ihre Stadt auch als Zentrumsgemeinde anerkannt werden will. Auch, wenn ihr das der Regierungsrat abspricht.

Tanja Bauer, Sie haben als Grossrätin eine Motion mitverfasst, die fordert, dass Köniz im kantonalen Finanz- und Lastenausgleich Zentrumslasten geltend machen kann. Der Regierungsrat lehnt diese nun ab, weil die Gemeinde Köniz viel mehr vom Zentrum Bern profitiere als umgekehrt. Köniz solle nach Lösungen mit der Stadt suchen. Was antworten Sie darauf?
Es ist eine vertane Chance. Dahinter steckte ein reales Anliegen, das uns wichtig scheint: In der Region Bern gehen Stadt, Agglomeration und Land fliessend ineinander über. Wir wollen die bestehenden Zentrumsfunktionen etwa in den Bereichen Kultur, öffentlicher Verkehr und Sportinfrastruktur weiterentwickeln. Es braucht eine Debatte darüber, wie dies finanziert wird. Wir waren offen, was die Lösungsansätze betrifft. Dass der Regierungsrat nun die Diskussion ganz ablehnt, ist schade. Und ich glaube auch, dass es für die Stadt Bern keine gute Antwort ist.
Warum?
Weil der Regierungsrat eigentlich sagt: «Schaut mal, ob die Stadt ihr Portemonnaie für euch öffnet.» In der Folge heisst das: Die Stadt Bern muss zusätzlich Zentrumsleistungen für 44 000 Personen finanzieren. Das sind gleich viele Menschen, wie in der Stadt Thun wohnen. Damit steigt der Druck auf die Stadt Bern. Das kann mittel- bis langfristig nicht gut gehen.
Der Regierungsrat sieht das anders. Er führt etwa die Gurtenbahn an: Sie steht auf Könizer Gebiet, der Stadt Bern gehören aber drei Viertel der Aktien. Das Modell scheint zu funktionieren.
Natürlich haben wir in vielen Bereichen eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Stadt Bern. Aber dass diese einfach auf Könizer Boden kommt, gewisse Sachen nach ihren Gnaden finanziert und die Bevölkerung etwa für Kultur einfach in die Stadt fahren soll – das kann nicht die Idee einer qualitativen Entwicklung der Region Bern sein. Zumal die Stadt Bern finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet ist. Wir haben die Stärke, um unsere eigenen Infrastrukturen und Angebote weiterzuentwickeln. Wir stehen nicht in Konkurrenz zur Stadt, und wir profitieren von ihren Zentrumsleistungen. Das wollen wir auch gar nicht abstreiten.
Aber?
Köniz wächst, genau wie die Grossregion Bern. Der urbane Teil der Grossregion geht weit über die Gemeindegrenzen von Bern hinaus. Und mit der angestrebten inneren Verdichtung, die etwa wichtig ist, um die Klimaziele zu erreichen, wird Köniz weiter wachsen. Köniz hat gerade dafür grosse Baulandreserven.
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Köniz wird oft unterschätzt. In Wabern, Spiegel und Liebefeld wohnen jeweils 6000 bis 8000 Personen. Wabern allein könnte in den nächsten Jahrzehnten
so gross werden wie Burgdorf oder Langenthal, die heute als Zentrumsgemeinden gelten. Gleichzeitig sind die Gemeindegrenzen längst nicht mehr sichtbar: Gerade diese Quartiere werden oft als Teile der Stadt Bern wahrgenommen. Da ist klar, dass die Könizerinnen und Könizer dort dieselben Leistungen erwarten wie in den Stadtquartieren ein paar Meter weiter. Sowieso sind die Wege heute viel kürzer. Heute fahren wir schliesslich nicht mehr mit der Kutsche in die Stadt …
… vor 25 Jahren, als der Finanzausgleich eingeführt wurde, auch nicht.
Vom Mindset her könnte man das aber meinen! Der Gemeinde Köniz wird der Zentrumsnutzen der Stadt Bern bei der Berechnung der Zentrumslasten in Abzug gebracht. Aber von Burgdorf nach Bern fährt man mit dem Zug 15 Minuten. Von Mittelhäusern in Köniz an den Bahnhof Bern sind es 24 Minuten. Auch aus Burgdorf kann die Bevölkerung abends ins Berner Stadttheater fahren. Trotzdem wird Burgdorf die Zentrumsleistung der Stadt Bern nicht in Abzug gebracht. Das ist gut so, wir würden aber gerne gleichbehandelt werden.
Der Regierungsrat argumentiert auch mit der Pendelbilanz: Täglich pendeln 12 000 Personen aus Köniz nach Bern. Das ist ein Viertel der Könizer Bevölkerung. Den umgekehrten Weg machen gerade einmal 3000 Personen. Was antworten Sie darauf?
Die Verhältnisse entsprechen den Bevölkerungsverhältnissen zwischen den beiden Gemeinden. Bern hat dreimal so viele Einwohnerinnen und Einwohner wie Köniz. Es ist klar, dass wir nicht gleich viele Pendelbewegungen haben sollten wie die Stadt – dann wäre etwas aus dem Gleichgewicht geraten. Aber wir tragen die Lasten des Zentrums mit: Wir bauen Wohnraum, wir finanzieren die nötige Infrastruktur, um in unseren Ortsteilen qualitativ wachsen zu können. Gleichzeitig fehlen uns die Möglichkeiten von Burgdorf und Langenthal, diese Investitionen im Ressourcenausgleich abziehen zu können. Wir fallen zwischen Stuhl und Bank.
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Weder noch. Köniz ist wie eine kleine Schweiz, mit sehr urbanen und sehr ländlichen Teilen, die sich gegenseitig ergänzen. Wir sind eine Brücke zwischen Stadt und Land. Und das wollen wir auch bleiben. Wir wollen aber qualitativ wachsen – und das bedeutet, dass wir Zentrumsleistungen erbringen, die mit einer grösseren Stadt durchaus vergleichbar sind. Wir wollen nicht einmal mehr Geld dafür. Wir wollen nur weniger abgeben müssen, damit wir es in Köniz investieren können. Es wäre ein Anreiz für uns.
Wie meinen Sie das?
Niemand will in einer «Schlaf-Agglo» leben. Wenn wir wachsen, braucht es darum herum öffentlichen Verkehr, Kultur, all die Leistungen, die einen Ort lebenswert machen. Das ist auch explizit erwünscht: Die Grossregion Bern soll polyzentrisch wachsen. Aber das geht nur begrenzt, wenn einem das Engagement dafür nicht angerechnet wird.
Mal angenommen, der Grosse Rat gestände Ihnen die Abzüge zu. Worin würden Sie diese fünf Millionen investieren?
Bei einem Budget von 250 Millionen ist das natürlich keine Unsumme. Wir könnten im Rahmen der ordentlichen Ausgaben mehr leisten. Aber es geht nicht nur um das Geld an sich, sondern auch um die Wertschätzung dahinter. Die Anerkennung dafür, welche Investitionen und Leistungen wir bereits heute tätigen und erbringen, die der gesamten Region zugutekommen. Das scheint mir ein geringer Preis.
Trotzdem dürften Sie damit nicht auf offene Ohren stossen. Was, wenn Sie mit ihrem Anliegen nicht durchkommen?
So schnell schreiben wir das nicht ab. Es geht uns um einen Dialog. Ich habe bereits erste Zeichen erhalten, dass es ein gewisses Verständnis für unsere Situation gibt. Wir werden uns weiter konstruktiv einbringen. Schliesslich geht es darum, dass wir in der Grossregion Bern zusammen weitergehen und Verantwortung wahrnehmen können. Ich glaube, dass wir das schaffen – mit den entsprechenden Instrumenten.