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Neues Sozialhilfegesetz setzt Gemeinden unter Druck

Regierungsrat Pierre Alain Schnegg (SVP) will die Gemeinden bei der Sozialhilfe stärker in die Pflicht nehmen. Doch haben diese überhaupt Einfluss auf die verursachten Kosten? 

| Fabian Christl | Politik
Regierungsrat Pierre Alain Schnegg plant einen Systemwechsel bei der Sozialhilfe. Foto: Kanton Bern / zvg
Regierungsrat Pierre Alain Schnegg plant einen Systemwechsel bei der Sozialhilfe. Foto: Kanton Bern / zvg

Das bernische Sozialhilfegesetz (SHG) ist in die Jahre gekommen und soll totalrevidiert werden. Am Montag stellte Pierre Alain Schnegg (SVP), Vorsteher der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion, die Eckwerte der geplanten Revision der Öffentlichkeit vor. Das sind die zentralen Änderungen:

  • Die Gemeinden sollen einen Teil ihrer Sozialhilfeausgaben selbst bezahlen müssen. Damit will der Kanton einen Anreiz für die Gemeinden schaffen, die Sozialhilfekosten möglichst tief zu halten.
  • Wer sechs Monate nach Eintritt in die Sozialhilfe nicht mindestens über Sprachniveau A1 verfügt, soll weniger Grundbedarf erhalten. 
  • Sozialhilfegelder müssen nicht mehr zurückbezahlt werden, wenn sich Bezügerinnen oder Bezüger dank Erwerbsarbeit von der Sozialhilfe loslösen können. Damit erhöhe sich der Anreiz, eine Arbeitsstelle anzunehmen, heisst es seitens des Kantons. 
  • Die Aufsicht über den Vollzug der Sozialhilfe liegt künftig stärker beim Kanton. Konkret soll die kantonale Fachstelle Sozialrevisorat (FASR) die Sozialbehörden bei der Erfüllung der Aufsicht «ergänzen und unterstützen», wie es in der Medienmitteilung heisst. 
  • Das neue Fallführungssystem für Sozialhilfe und den Kindes- und Erwachsenenschutz, das der Kanton derzeit erarbeiten lässt, soll für alle Gemeinden verbindlich werden. 

Köniz gewinnt, Bern verliert

Bereits ist klar: Am meisten zu diskutieren gibt das geplante Anreizsystem für die Gemeinden. Dies etwa, weil es Gewinner und Verlierer gibt. Beim angedachten Modell müsste aus dem Gebiet des «Anzeiger Region Bern» etwa die Stadt Bern zwischen einer halben und einer Million Franken pro Jahr mehr für die Sozialhilfe berappen. Aber auch auf Ittigen, Wohlen und Frauenkappelen kämen Mehrausgaben zu. Köniz, Zollikofen, Bolligen und Ostermundigen würden hingegen profitieren. 

Mit Stellungnahmen halten sich die Gemeinden noch zurück. Dies, weil sie von der Direktion Schnegg nicht in die Erarbeitung der Reform einbezogen worden seien, wie mehrere Gemeindevertreter gegenüber dem «Anzeiger» ausführten – und entsprechend die Revision erst noch in Ruhe studieren müssten.

Auch die Stadt Bern will die Revi­sion zuerst noch «genau prüfen», um eine differenzierte Rückmeldung geben zu können, wie Sozialdirektorin Franziska Teuscher (GB) auf Anfrage bekannt gibt. Klar ist: Auch Teuscher klagt über die fehlende Mitbestimmung. Man habe beim Kanton «mehrfach verlangt», eine Arbeitsgruppe zu bilden, so die Gemeinderätin. 

Sie lässt ausserdem durchblicken, dass sie dem Anreizsystem wenig abgewinnen kann. Die Stadt Bern mache die Erfahrung, so Teuscher, «dass sich die Anzahl Personen in der Sozialhilfe kaum steuern lässt». 

Wo ist der Spielraum?

Das führt zum zweiten Diskussionspunkt: Es stellt sich die grundlegende Frage, ob die Gemeinden überhaupt einen Einfluss auf die Höhe der Sozialhilfekosten haben. So ist unbestritten, dass wirtschaftliche Faktoren, Bevölkerungsstruktur (Anteil Migranten und Alleinerziehende) sowie verfügbarer Wohnraum einen grossen Einfluss auf die Sozialhilfequote haben – aber kaum im Einflussbereich der Gemeinde liegen.

Die Revision trägt dem Rechnung, indem sie den Soziallastenindex bei der Rückverteilung der Gelder berücksichtigt. So werden die Selbstbehalte der Gemeinden wiederum an die Gemeinden rückverteilt. Gemeinden mit hohem Soziallastenindex erhalten verhältnismässig mehr zurück. Sonst wäre nicht möglich, dass etwa Ostermundigen mit einer hohen Sozialhilfequote von rund 7 Prozent zu den Profiteuren zählen würde. Ausserdem soll eine Härtefallregelung dazu führen, dass keine Gemeinde über Gebühr belastet wird. 

Darüber hinaus zeigt sich Schnegg dennoch überzeugt, dass die Sozialdienste besser oder schlechter arbeiten können. Im Vortrag verweist der Regierungsrat etwa auf die «Gestaltungsmöglichkeiten der Gemeinden» im Vollzug, etwa betreffend der Integra­tion der Bezügerinnen und Bezüger in den Arbeitsmarkt oder betreffend Optimierung der Abläufe. 

Sukkurs erhält er von Daniel Bichsel, Gemeindepräsident von Zollikofen und Präsident des Verbands Berner Gemeinden (VBG), der mithalf, das System zu erarbeiten. «Die Sozialdienste können etwa beim Einfordern von Beiträgen vorgelagerter Sozialversicherungen und familienrechtlichen Beiträgen konsequenter agieren», sagt Bichsel. Zwar habe der Verband noch nicht beschlossen, ob er den Vorschlag unterstütze. «Wenn wir aber ein System mit Selbstbehalt unterstützen, dann dieses.»

Anders sieht es Thomas Michel, der Co-Präsident der Berner Konferenz für Sozialhilfe (BKSE), in der die Sozialdienste der Gemeinden organisiert sind. Selbst bei familienrechtlichen Rückforderungen spiele etwa die Re­gion eine Rolle. «Wenn in einer Region viele Menschen nur über bescheidene Bildungsabschlüsse verfügen, ist die Chance gross, dass es auch bei den Familienangehörigen nichts zu holen
gibt – unabhängig von der Qualität der Arbeit der Sozialdienste.»

Michel befürchtet letztlich, dass ziemlich beliebig ist, wer vom neuen System profitiert – und wer draufzahlen muss. «Es scheint, dass es sich eher um ein Umverteilungssystem handelt als um ein Anreizsystem.» Sonst müsste es jedenfalls möglich sein, den Selbstbehalt durch kluge Massnahmen zu reduzieren. «Stand jetzt sehe ich nicht, wie das gehen soll.»

Juristische Hürde

Ob die Revision eine Mehrheit findet, wird sich weisen. Der Gesetzesentwurf geht jetzt in die Vernehmlassung. Allerdings hat das Kantonsparlament bereits mehrere Vorstösse überwiesen, die ein Anreizsystem für die Gemeinden forderten. 

Grösser könnten die juristischen Hürden sein. Bereits 2011 schuf der Kanton Bern ein Bonus-Malus-System für die Sozialhilfe. Allerdings zeitigte eine Beschwerde einer Malus-Gemeinde Erfolg – und der Kanton musste das Projekt wieder begraben.


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