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Nationalrat Matthias Aebischer : «Ich bin mit allen Facetten der Stadt vertraut»
Vor den Gemeindewahlen in der Stadt Bern wundert sich Kandidat und Nationalrat Matthias Aebischer (SP) darüber, dass es in Bern immer wieder Schulraumprovisorien braucht. Das sei aber Jammern auf hohem Niveau, insgesamt sei er happy mit der Stadt. Er ist ausserdem überzeugt, dass Rot-Grün trotz neuem Konkurrenzbündnis die Wahl gewinnen wird.

Herr Aebischer, im letzten Herbst wollten Sie Bundesrat werden. Jetzt kandidieren Sie für den Gemeinderat. Interessieren Sie sich überhaupt für Lokalpolitik?
Politik ist nicht örtlich begrenzt und als Berner Nationalrat setze ich mich schon jetzt für lokale Anliegen ein. Zum Beispiel habe ich mitgeholfen, die Finanzierung des Alpinen Museums sicherzustellen. Seit meiner Jugend lebe ich hier in der Stadt und bin mit all ihren Facetten vertraut und auch bestens informiert. Es interessiert mich, was läuft in der Stadt Bern, «Bund» und «Berner Zeitung» lese ich seit 40 Jahren, jetzt neu auch den «Anzeiger».
Gibt es in Bern etwas, das Sie sofort anpacken würden, wenn Sie gewählt werden und die passende Direktion bekommen würden?
In den dreizehn Jahren, die ich nun in der Politik bin, habe ich gelernt, dass man nicht einfach Schalter umlegen kann. Unser Politsystem ist auf allen Ebenen gut austariert. Grundsätzlich bin ich sehr happy mit der Stadt Bern, wie sie ist, sozial, grün, lebenswert. Wichtig scheint mir, dass sie auch für die Einheimischen lebenswert bleibt, obwohl viele Touristen und Touristinnen die Stadt bevölkern. Dass es etwa weiterhin bezahlbaren Wohnraum gibt in der Innenstadt und nicht nur Ferienwohnungen. Und dass auch das Gewerbe seinen Platz behält.
Was wäre ein möglicher Hebel für mehr Gewerberaum in der Stadt? Wohnungen werden auch dringend gebraucht und sind für Immobilienbesitzende lukrativer.
Klar, die Immobilienpreise haben sich in den letzten Jahren vervielfacht, und wenn man sein Haus teuer verkaufen kann für den Wohnungsbau, macht man das. Was die Stadt tun kann, ist, weitere Immobilien zu kaufen und ganz sicher keine zu verkaufen. Gewerbebetriebe in Stadtliegenschaften sind dem Immobilienmarkt weniger ausgeliefert.
Eher untypisch für einen SP-Politiker sprechen Sie sich nachdrücklich für ausgeglichene Finanzen aus. Das Budget 2024 der Stadt Bern sieht ein Defizit von über 37 Millionen vor.
(lacht) Eine sehr klischeehafte Frage, so nach dem Motto «die SPler wollen ja eh nur Geld ausgeben». Es ist für mich selbstverständlich, dass man grundsätzlich auf allen politischen Ebenen mit ausgeglichenen Finanzen plant. In den Verbänden und Vereinen, die ich präsidiere, schreiben wir überall schwarze Zahlen. Das ist auch in der Politik mein Ziel. Die jetzige Stadtregierung will das ja auch. Die letzten drei Rechnungen lagen alle im Plus.
Wie würden Sie das anpacken?
Grundsätzlich sehe ich es so, dass man als Erstes Ziele definiert, dann schaut, was es kostet, sie zu realisieren, und wenn es mehr kostet, als man hat, schaut man, wo man Abstriche machen kann. Dieser dritte Schritt geht leider manchmal vergessen. Ein Problem sind vor allem die aufgeschobenen, milliardenschweren Investitionen, die die Stadt irgendwann tätigen muss. Aber klar, es ist wichtig, in eine lebenswerte Stadt zu investieren.
Das betrifft in Bern unter anderem den Bau von Schulraum, wo man mit einem Rückstand kämpft. Was lief da falsch?
Das ist etwas, das mich erstaunt. Man weiss ja eigentlich sechs Jahre vorher, wie viele Kinder in die Schule kommen. Ich denke, man müsste in der Planung mehr Sicherheit einrechnen.
Das wäre mit Kosten verbunden.
Zum Teil ja. Aber manchmal ist es auch nur eine Frage der Planung. Ich bin jemand, der gern genug Spatzig einplant.
Und dann Schulzimmer leer stehen lassen?
Ich finde es weniger schlimm, wenn mal ein Schulzimmer leer steht oder anderweitig genutzt wird, als wenn man immer wieder Provisorien aufstellen muss.
Wie haben Sie als Vater die Schulzeit Ihrer Kinder erlebt?
Ich sage immer: Die Schweiz hat das beste Schulsystem der Welt. Die Schulen im Marzili und im Kirchenfeld beweisen das. Wenn ich das Haar in der Suppe suchen müsste, wäre das wohl schon die Schulraumplanung, Dass man überrascht ist, wenn plötzlich 30 Kindergärteler mehr auftauchen, und man dann Container stellen muss. Aber das ist Jammern auf sehr hohem Niveau.
Sie sind auch als Sportfreund bekannt, präsidieren den Grand Prix von Bern, spielen im FC Nationalrat. Was treiben Sie privat für Sport?
Vor allem renne ich sehr viel und schwimme. Früher habe ich Long-Distance-Triathlon gemacht. Aktuell trainieren meine Frau und ich für den Wien-Marathon. Beim FC Nationalrat höre ich langsam auf. Als ich anfing, war ich noch jung und knusprig. Heute bin ich älter und gehe nur noch ungern in die harten Zweikämpfe. Ich bin nach jedem Spiel froh, wenn noch alles ganz ist.
Bei welcher Sportart fiebern Sie passiv mit?
Ich habe zwei YB-Saisonkarten. Aber ich gehe nicht im YB-Liibli an den Match, sondern schaue einfach gern Fussball, und YB hat in den letzten Jahren tollen Fussball gezeigt. Im Fernsehen schaue ich auch Fussball. Und zurzeit natürlich Olympia. Aber sehr gezielt nach Programm. Ich schaue nicht viel fern.
In Bern gibt es Diskussionen um die Nutzung der Grossen Allmend. Mehr Trainingsplätze für YB und Breitensport versus mehr Freiraum für alle. Was finden Sie?
Ich finde, die Diskussion wird etwas zu hitzig geführt. Natürlich soll die Allmend für alle Leute sein. Aber da gehören die Sportvereine auch dazu. Ein Problem habe ich mit abgeschlossenen Sportplätzen. Ich finde, wenn sie nicht gebraucht werden, sollten sie immer öffentlich zugänglich sein. Das eine muss das andere also nicht ausschliessen.
Nun zur Wahl im Herbst. In der Partei gab es rund um Ihre Kandidatur für den Gemeinderat böses Blut. Mit Katharina Altas und Stefan Jordi hatten zwei verdiente SP-Mitglieder Interesse angemeldet, die Parteileitung zog aber Sie vor. Haben Sie sich mit Altas und Jordi ausgesprochen und versöhnt?
(überlegt lange) Klar muss man zusammen reden. In einer Partei muss man immer wieder zusammenarbeiten, da verträgt es keine Grabenkämpfe.
Während Ihrer Zeit beim Schweizer Fernsehen wurden Sie Siebter in einem Traummänner-Ranking der Glückspost. Einige Jahre später wurden Sie direkt in den Nationalrat gewählt, ohne die sogenannte «Ochsentour» in der Gemeinde- oder Kantonspolitik. Wie sehr hilft Ihnen bei Wahlen, dass Sie gut aussehen und dass man Sie vom Fernsehen kennt?
Um gewählt zu werden, muss man eine hohe Glaubwürdigkeit besitzen und eine gewisse Bekanntheit. Als Tagesschau- und Club-Moderator war ich bekannt und wohl auch glaubwürdig. Da das aber lange her ist, glaube ich nicht, dass es in diesem Wahlkampf eine Rolle spielt. Da zählen eher meine dreizehn Jahre im Nationalrat. Damals bei der Wahl in den Nationalrat half es
sicher.
Nebst der fehlenden Ochsentour wird kritisiert, Sie hätten keine Führungserfahrung. Sie verweisen jeweils auf die Verbände, die Sie präsidieren. Kann man das wirklich vergleichen mit der Führung einer Direktion?
Ich hatte beim Fernsehen mehrere Führungsjobs im operativen Bereich. So war ich etwa Olympiachef der Atlanta-Spiele 1996. Die Verbands- und Vereinspräsidien sind eher im strategischen Bereich angesiedelt. Als Gemeinderat müsste ich beides können. Ich bin einer, der gerne Visionen entwickelt und dann auch anpackt.
Was für ein Politiker wären Sie gern?
(lacht) Ich hoffe, dass ich ihn nicht nur wäre, sondern heute schon bin. Glaubwürdigkeit ist für mich das Wichtigste, also nicht einmal dies und einmal das sagen. Und ich möchte einer sein, der mit beiden Füssen am Boden steht, nahe bei den Leuten ist und langfristig und visionär denkt.
Welche Direktion hätten Sie am liebsten, falls Sie gewählt werden?
Es ist immer so eine Sache, vor einer Wahl schon über Direktionen oder Departemente zu sprechen. Aber klar, die Direktion für Bildung, Soziales und Sport wäre schon auf mich zugeschnitten.
Falls Mitte-Rechts einen zweiten Sitz holt, wird Rot-Grün-Mitte nur noch drei haben. Wen möchten Sie lieber leer ausgehen sehen? Ursina Anderegg von den Grünen oder Stadtpräsident Alec von Graffenried von der GFL?
Ich gehe davon aus, dass wir auch mit der neuen Ausgangslage die vier Sitze verteidigen. Dafür müssten wir nur wenig mehr Stimmen erhalten als vor vier Jahren. Das ist machbar.
Sie kandidieren diesmal als Gemeinderat. Träumen Sie davon, irgendwann Stapi zu werden?
(lacht) Auf diese Frage war ich vorbereitet: Das ist überhaupt kein Thema. Ich stehe voll und ganz hinter der Stadtpräsidiumskandidatur von Marieke Kruit. Sowieso muss man in der Politik nicht Pläne schmieden. Ich freue mich auf die Arbeit im Gemeinderat. Punkt.
Zur Person:
Matthias Aebischer sitzt seit 2012 für die SP des Kantons Bern im Nationalrat. Er präsidiert diverse Vereine und Verbände, darunter Pro Velo Schweiz, Cinésuisse und den Grand Prix von Bern. Vor seiner Zeit im Nationalrat arbeitete er als Moderator fürs Schweizer Fernsehen. Er ist mit der Zürcher GLP-Ständerätin Tiana Angelina Moser liiert. Mit ihr hat er eine kleine Tochter, aus früheren Beziehungen hat er drei weitere Töchter. Aebischer kandidiert im Herbst für den Gemeinderat von Bern.