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«Wir müssen uns noch viel tiefer reinknien»
Die Gemeinderäte sind grüner geworden – zumindest in der Agglomeration Bern. Der Wahlherbst stellt die Grünen nun auf die Probe. Auch, was ihre eigenen Erwartungen betrifft.
Die viel besungene «grüne Welle» von 2019 ist längst auf die Gemeinden übergeschwappt. Auch in den Exekutiven der Berner Agglomerationsgemeinden politisieren – oft zum ersten Mal – auch Grüne. Nun stehen in vielen dieser Gemeinden die nächsten Wahlen vor der Tür. Und die Grünen damit vor der Frage, ob es für die Wiederwahl reicht.
Auch, weil sie dafür die oft konservativere Bevölkerung genauso für sich gewinnen müssen wie ihre eigene politische Basis. Letztere hat einen politischen Anspruch, der oft weit über das hinausgeht, was sich als Minderheit im Exekutivgremium einer kleineren Gemeinde erreichen lässt. Mit Blick auf den Herbst trafen sich am Donnerstag deshalb drei grüne Kandidatinnen und Kandidaten zu einem Podium, um sich zu fragen: Wie geht eine konsequent grüne Politik in diesem Kontext
überhaupt?
«Unsere Gemeinde ist schon viel weiter, als ich dachte»
Catherine Meyers Antwort darauf kommt wie aus der Pistole geschossen: mit Dossierkenntnis, Hartnäckigkeit und Teamarbeit innerhalb des Gremiums. Die Klimaschützerin wurde 2020 auf Anhieb in den Bolliger Gemeinderat gewählt, wo sie das Ressort Tiefbau leitet. Man müsse sich als Minderheit tiefer in die Themen «reinfuchsen», sagt sie. Nur so könne man Aspekte finden, die früher vielleicht noch zu wenig beachtet worden seien – «und so den Status Quo hinterfragen».
Diese Dossierarbeit sei auch wichtig für die eigene Glaubwürdigkeit, ergänzt die Muriger Gemeinderätin Carole Klopfstein. Ausserdem hänge viel vom Team im eigenen Ressort ab: Ohne die Unterstützung der Fachleute sei es sehr anspruchsvoll, sich in einem Thema vollständig zu orientieren. Sie habe sich nach ihrer Wahl bewusst für den Hochbau als «eher unpolitischeres» Ressort entschieden. «Der Sanierungsbedarf innerhalb der Gemeinde war unbestritten», sagt Klopfstein. So habe sie bereits mit einem Grundkonsens starten und von dort aus verhandeln können.
Als Gemeinderätin sei auch der Blick hinter die Kulissen durchaus ermutigend. «Mit ihrer ambitionierten Klimastrategie ist unsere Gemeinde jetzt schon viel weiter, als ich es je für möglich gehalten hätte», sagt Klopfstein. Nun müsse man diesen Zielen aber noch gerecht werden und sie umsetzen.
Auf dem Weg dorthin gebe es aber zahlreiche An- und Widersprüche zu bewältigen, so Meyer. Gerade in Bolligen stosse man mit grünen Ideen in den ersten paar Anläufen auf grossen Widerstand. Das, obwohl die Gemeinde mit ihren landwirtschaftlichen Flächen und der Produktion durchaus grüne Aspekte habe. «Wir haben zwar in den letzten Jahren etwas Fahrt aufgenommen, doch es gibt noch viel Luft nach oben», sagt Meyer.
Optimistischer gibt sich Adrian Tanner. Bisher sitzt er für die Grünen im Ostermundiger Gemeindeparlament; nun kandidiert er für den Gemeinderat. Gerade was Neubauten angehe, sei die Gemeinde gut unterwegs. Sie strebe hohe Energie- und Baustandards an. Handlungsbedarf sieht Tanner dafür in der Verkehrspolitik. Gerade der Umgang mit dem Radverkehr lasse im internationalen Vergleich noch zu wünschen übrig. Tanner wünscht sich auch sonst eine Politik, die auch über die Gemeindegrenzen hinausdenkt.
Ideologie versus Pragmatismus
Gelegentlich seien es aber auch rein praktische Hindernisse, die einer noch grüneren Politik im Weg stünden, so Klopfstein. Zum Beispiel, wenn es um das Fernwärmenetz in Muri gehe. Dieses wird auch weiterhin zu den Spitzenzeiten mit (Bio-)Gas bedient.
Auf Widerspruch aus dem Publikum hin verweist Klopfstein auf die Expertise aus der Gemeindeverwaltung. «Wir sind trotz allem in den meisten Bereichen keine Expertinnen», so Klopfstein. «Wir müssen uns ein Stück weit auch auf die Verwaltung verlassen.» Umso mehr, wenn es über die eigenen Dossiers hinausgehe.
Am Ende, so ist man sich auf dem Podium einig, gelte es, die richtige Balance zwischen den eigenen politischen Ambitionen und der politischen Realität zu finden. Nur indem man immer wieder mit denselben Themen komme, dringe man mit diesen Anliegen irgendwann auch durch; wenn auch in kleinen Schritten.
Umso mehr geben sich die Grünen nun kämpferisch. Nur schon aus persönlichen Gründen werde sie alles geben, um weitere vier Jahre bleiben zu dürfen, sagt Meyer: «Es ist der schönste Job, den ich je machen durfte.»
In Ostermundigen sieht Adrian Tanner gute Chancen. Hier hätten die Grünen angesichts der nationalen und kantonalen Wahlanteile noch einiges an Potenzial. Und sowieso: «Wir haben im Gemeinderat momentan keinen Sitz, und damit nichts zu verlieren.» In Muri werde der Wahlkampf dagegen intensiver, so Klopfstein. Nachdem die SP der FDP im Juni das Gemeindepräsidium abgejagt hat, hatte der Muriger FDP-Präsident Johannes Matyassy bereits angekündigt, dass es nun «a d Seck» gehe. Für Klopfstein ist das aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Der Wahlkampf solle Spass machen und die Menschen zusammenbringen, sagt sie. Zumal die politische Lage dadurch umso spannender werde: «So dynamisch war die Lage noch nie.» Nun gelte es, daraus das Beste zu machen.