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Ittigen: Die Mitte überrascht vor der Wahl alle

Was lange währt, kann sich auch ändern. Zum Beispiel in Ittigen, wenn im Herbst Gemeinderat und Gemeindepräsidium neu besetzt werden. Klar ist, dass neue Köpfe kommen. Doch auch parteipolitisch könnte es rumpeln: Mit dem Alleingang der Mitte verliert die dominante BVI eine Partnerin.

| Anina Bundi | Politik
Bei den Wahlen in Ittigen ist Feuer drin. Foto: Nik Egger
Bei den Wahlen in Ittigen ist Feuer drin. Foto: Nik Egger

René Hug

René Hug, SP, Jahrgang 1963
Betriebswirtschafter / Marketingleiter
Im Gemeinderat seit 2017

Thomas Stauffer

Thomas Stauffer, BVI, Jahrgang 1968
Wirtschaftsinformatiker / Unternehmer
Neu, bis 2013 in der GPK

Simone Stöcklin

Simone Stöcklin, Die Mitte, Jahrgang 1984
Politikerin / Familienfrau
Im Gemeinderat seit 2023

Der Wahlkampf in Ittigen beginnt mit einem Paukenschlag: Die Mitte hat bekannt gegeben, sich aus dem Parteienbündnis BVI zu verabschieden. Sie wird bei den Gemeindewahlen im Herbst mit einer eigenen Liste antreten und eine eigene Kandidatin für das Gemeindepräsidium ins Rennen schicken. Damit gerät in Ittigen ein Modell ins Wanken, das für eine bürgerliche
Dominanz sorgte, die in stadtnahen Agglo­merationsgemeinden nicht mehr so weit verbreitet ist.

Bürgerliches Bündnis ohne SVP und neu ohne die Mitte

Die noch junge Gemeinde, erst 1983 koppelte sie sich von Bolligen und Ostermundigen ab, wird seit über 50 Jahren von der Bürgervereinigung Ittigen (BVI) dominiert. Dem Bündnis gehörten bis vor kurzem FDP, Mitte und GLP an, dazu kommen viele parteilose Mitglieder. Die BVI stellt den Gemeindepräsidenten und mit ihm die Mehrheit im Gemeinderat, aktuell sind das vier Sitze. Links davon politisieren SP und Grüne, die je einen Gemeinderat stellen und die ihre Listen jeweils mit der EVP verbinden. Rechts davon die SVP, die sich bei der Verselbstständigung der Gemeinde aus der BVI verabschiedete und seither solo unterwegs ist. Die Dominanz der BVI wird regelmässig angeprangert. Dass Ittigen unter der Ägide der BVI zur steuergünstigsten Gemeinde der Agglomeration Bern wurde, verhalf ihr allerdings auch zu Respekt über die eigene Wählerschaft hinaus.

Nun ist die BVI für die kommenden Wahlen um eine Partei ärmer. Die Mitte wird allein antreten und macht dem FDP-nahen BVI-Kandidaten Thomas Stauffer für die Nachfolge des abtretenden Gemeindepräsidenten Marco Rupp mit ihrer Gemeinderätin Simone Stöcklin Konkurrenz. Sie und die zweite Mitte-Kandidatin für den Gemeinde­rat seien an der Nominierungsversammlung der BVI zu wenig unterstützt worden, begründet die Mitte den Alleingang. Man habe gemerkt, dass die enge Anbindung an die BVI es verunmöglicht habe, parteipolitisch ein selbstständiges Profil zu gewinnen, schreibt die Partei ausserdem.

«Wir sind enttäuscht»

Für die BVI ist diese Situation eine He­rausforderung. Drei ihrer aktuell vier Gemeinderatsmitglieder, Gemeindepräsident Rupp eingerechnet, treten nicht mehr an. Stöcklin, die bisher Vierte im Bunde, hat sie mit der Spaltung verloren. «Wir sind enttäuscht», sagt BVI-Präsident Hans-Rudolf Ramseier auch zehn Tage nach dem Entscheid der Mitte. Die Nominationsversammlung habe er selber geleitet. «Das lief alles sauber. Thomas Stauffer hat sich sehr gut präsentiert und 80 Prozent der Stimmen erhalten.» Diese Deutlichkeit habe ihn selbst ein wenig überrascht. «Aber es ist auf jeden Fall ein klares Resultat.» Die BVI habe durch die Medienmitteilung der «Mitte» vom Alleingang erfahren. «Wir hatten die Liste schon eingereicht und keine Hinweise darauf, dass etwas nicht gut sein soll.» Auch die «BVI-News» seien schon mehr oder weniger bereit gewesen. «Jetzt alles zu ändern, ist ein Riesenaufwand», ärgert er sich.

BVI ohne Bisherige

Doch es sind nicht nur die Überraschung und der Mehraufwand, die der BVI zu schaffen machen. Bei der letzten Wahl vor vier Jahren konnte sie mit vier Bisherigen antreten. Nun, mit ausschliesslich neuen Kandidaten, wird sie es schwieriger haben, ihre Mehrheit zu verteidigen. Warum hat sie nicht zumindest für das Präsidium voll auf die Bisherige Stöcklin gesetzt, sondern auf den Neuen Thomas Stauffer? «Wir haben an der Versammlung beide vorgeschlagen und waren als BVI-Vorstand neutral», sagt Ramseier. Er sehe aber Stauffer als den besten Kandidaten. «Er ist Unternehmer und war zwölf Jahre in der Unternehmensberatung tätig. Ein Gemeindepräsidium ist vergleichbar mit der Führung eines KMU. Da ist Führungserfahrung letztlich wichtiger als ein paar Jahre in der Gemeindepolitik.» Die Stimmung im BVI-Vorstand sei trotz der schwierigen Ausgangslage gut. «Jetzt erst recht», laute das Motto, so Ramseier. «Wir sind doppelt motiviert für den Wahlkampf.»

Mitte fürchtet um ihren Sitz

Bei der Mitte dagegen gibt man sich zurückhaltend. Er sehe die Situation realistisch, sagt Antonio Abate, der die Ortsgruppe Ittigen leitet. «Für uns besteht das Risiko, unseren einzigen Sitz im Gemeinderat zu verlieren. Diesen zu verteidigen, ist unser primäres Ziel.» Bei einem Verbleib in der BVI wäre Stöcklins Wahl in den Gemeinderat mehr oder weniger sicher gewesen. «Nun, da wir selber antreten, müssen wir schauen, wie die Stimmbevölkerung auf Die Mitte reagiert.»

Bei der Kandidatur für das Gemeindepräsidium gehe es auch darum, eine Auswahl zu bieten. Simone Stöcklin sei aber eine hervorragende Kandidatin. Ausserdem bestehe nun die Möglichkeit, zum ersten Mal eine Frau in das Amt zu wählen. Von der Öffentlichkeit habe er gemischte, jedoch vor allem positive Reaktionen bekommen. Die Partei denke auch an die Zukunft. Bei den letzten Gemeindewahlen gab es die Mitte so noch nicht, in der BVI waren damals noch BDP und CVP. Der Entscheid, mit einer eigenen Liste anzutreten, passt auch zur Strategie der nationalen Partei, sich als eigenständiger Mitte-Block zu etablieren. «Vielleicht klappt es diesmal noch nicht mit einem ganzen Erfolg bei der Wahl, dann aber vielleicht beim nächsten Mal», sagt Abate.

Linke begrüsst Bewegung

Nebst den BVI-Gemeinderäten tritt auch der Grüne Andreas Spahni nicht mehr an. SP-Gemeinderat René Hug dagegen will bleiben und kandidiert auch als Gemeindepräsident – schon zum zweiten Mal nach 2020. Beide Parteien begrüssen die Bewegung, die durch das Aufbrechen der BVI in die Ittiger Politlandschaft kommt. «Eine langjährige Mehrheit im Gemeinderat, in allen Kommissionen und das Halten des Gemeindepräsidiums, egal welcher Partei, macht die Politik träge. Mehr politische Ausgewogenheit ist jetzt wichtig», findet SP-Ittigen-Präsident Beat Jurt. Gar ein wenig rebellisch klingt es bei den Grünen. Christoph Junker, Co-Präsident der Grünen Bantiger: «Es ist positiv, dass jemand gegen die Übermacht der BVI aufsteht», sagt er. Auf den Ausgang der Wahlen sind beide gespannt. Junker tippt darauf, dass die BVI stärkste Kraft bleibt, aber die absolute Mehrheit im Gemeinderat verliert. «Ittigen ist gewachsen, was den Anteil alteingesessener Wähler und Wählerinnen kleiner macht. Aber die BVI bleibt eine gefestigte Kraft.»

Neue Verbindungen möglich

Bisher traten die beiden Parteien jeweils in einer Listenverbindung mit der EVP an. Damit bekommt die Partei, die zurzeit nicht im Gemeinderat vertreten ist, eine potenziell machtvolle Rolle. Klar ist nämlich erst, dass Grüne und SP ihre Listen wieder verbinden und dass die Grünen den SP-Kandidaten fürs Gemeindepräsidium unterstützen werden. Ob auch die EVP wieder im Boot ist, oder ob sie allenfalls mit der Mitte zusammenspannt, ist noch offen. Schliesslich hätte sie nun die Wahl. «Wir führen Gespräche», sagt EVP-Präsident Matthias Haller dazu nur. Die Mitte ihrerseits ist auf der Suche nach einer Partnerin. «Wir führen Gespräche nicht nur mit der EVP und den Grünen, und es ist noch alles offen.» Möglich wäre damit auch eine Super-Listenverbindung, bei der sich die Mitte als vierte Partei anschliesst. Nimmt man die letzten Nationalratswahlen zum Mass, könnte sie einen Stimmenanteil von rund 11 Prozent beisteuern, womit die Verbindung auf drei Sitze kommen und Stöcklins Wiederwahl ermöglichen könnte. Verbinden sich nur EVP und Mitte, wäre sie wohl auch gewählt, Grüne und SP müssten aber um ihren zweiten Sitz zittern, ein Sitzgewinn, wie ihn die SP laut Jurt anstrebt, wäre dann eine Überraschung. Allerdings sind Wahlen auf Gemeindeebene nur schwer mit nationalen Resultaten vergleichbar.

SVP sieht «positiven Schritt»

Nicht direkt betroffen von der Aufspaltung der BVI ist die SVP, deren Gemeinderat Georg Thomann wieder antritt. Schon seit der Trennung von der BVI 1983, spätestens aber seit dem Streit um ihren Gemeinderat Xavier Dufour, nimmt sie eine deutliche Oppositionsrolle wahr im BVI-dominierten Gemeinderat. Er rechne damit, dass die SVP indirekt profitiere, sagt Parteipräsident David Spring. «Es ist ein positiver Schritt zu mehr Demokratie. Es wird mehr Diskussionen geben, und das wird dazu führen, dass die Opposition allgemein besser gehört wird.»

Speziell ist die Situation für die GLP, die wie Mitte und EVP meist zu den Mitte-Parteien gezählt wird. Sie ist nun alleinige Partnerin der FDP in der BVI. Eigene Kandidierende für den Gemeinderat konnte sie diesmal keine aufstellen. Ihr bisheriger BVI-Gemeinderat Markus Künzi hört altershalber auf. Er präsidiert auch die GLP-Ortsgruppe. Er sehe die BVI nach wie vor als gutes Gefäss, in das die GLP reinpasse, sagt er dazu. In der Gemeinde werde vor allem «ausführende» Sachpolitik gemacht, Unterschiede zwischen Parteiprogrammen seien weniger wichtig als auf kantonaler oder nationaler Ebene.

Männerdominanz bleibt wohl

So sehr sich in Ittigen die Politlandschaft auch verändern könnte, wenn die BVI wankt – nicht gefährdet ist allem Anschein nach die Männermehrheit im Gemeinderat, die mit bisher sechs zu eins für eine Agglomerationsgemeinde bemerkenswert ist. Mit Stöcklin, zwei Grünen und einer Frau auf der BVI-Liste sind erst vier Kandidatinnen bekannt. Die SP präsentiert eine rein männliche Liste. Das werde sich wohl erst in vier Jahren ändern, sagt Beat Jurt. Die SP habe durch Neuzuzüge in den letzten Jahren eine deutliche Verjüngung erfahren, für viele sei es aber noch zu früh für eine Kandidatur, weil sie sich noch am Einleben seien oder sich vorerst auf Kommissionsarbeit beschränken wollten. «Aber für die Zukunft bin ich absolut zuversichtlich, dass wir auch wieder Frauen aufstellen können.»


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