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Eine Campagne und eine Villa

Das Morillon in Wabern steht seit 1739 als Ort für die Sommerfrische, später als nobler Wohnsitz für das ganze Jahr. 2022/23 ist die Villa umfassend restauriert worden. Nun ist zur Entstehung des Baus und zu seiner kunst- und architekturgeschichtlichen Würdigung ein Führer erschienen.

| Christoph Reichenau | Politik
Die Villa Morillon. Foto: zvg / Markus Beyeler

Per Post die Einladung in die Campagne Morillon zur Medienorientierung und für die Buchvernissage des schweizerischen Kunstführers Nr. 1132. Sein Thema: Der ehemalige Sommersitz an der Grenze von Bern und Köniz. 

Also los. Mit dem Velo vom Kirchenfeld über die Monbijoubrücke, die Steigung hoch zur Seftigenstrasse, diese queren und nach einem kurzen Spurt links einbiegen in die die mächtige Allee bis zu den Stufen zum Haupteingang der Villa Morillon. In einer Viertelstunde durchquere ich das ab 1883 von einer englischen Kompanie neu überbaute Quartier, die Brücke von 1962 über die Aare zum Eigerplatz, das ehemalige Industrieareal Marzili, streife das Weissenbühl und lande nach der Fahrt entlang der Tramlinie 9 im frühen 19. Jahrhundert. Oder eher im mittleren 18. Jahrhundert als der Vorgängerbau, das alte Morillon im barocken Stil 1739 erbaut worden war. Kaum ein Haus stand schon da als die Villa gebaut wurde.

Die Gäste des Anlasses sind schon da. Offizielle der Gemeinde Köniz, Vertreter der ehemaligen und jetzigen Besitzerfamilien, Mitglieder der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (GSK), Denkmalpflegerinnen, Architekten, Kulturförderer. Der «Grand Salon» mit markant strukturiertem Parkett ist voll.

Reden

Ein dichtes Programm mit Reden ­beschlägt anderthalb Stunden, begonnen und bereichert durch das Hornquartett des Berner Symphonieorchesters (Christian Holenstein, Denis Dafflon, Sebastian Schindler und François Rieu), das kurze Stücke verbindet mit der Geschichte des Horns in der klassischen Musik und schliesst mit «Der Mond ist aufgegangen», leider nur fast, denn kaum hat man die Tränen zurückgedrängt, hebt erneut rassiger Hörnerschall an. 

Tanja Bauer, Gemeindepräsidentin von Köniz, schildert, wo die 44 000 Bewohnerinnen und Bewohner der Gemeinde leben. Weit blickt sie mit Begeisterung zurück ins Mittelalter, als das Bern, das es noch nicht gab, rechts der Aare zu Kleinburgund gehörte und die Menschen aus dem Oberland ohne den schwer passierbaren Fluss zu überqueren nordwärts zum Schloss Köniz kamen. Erst später entdeckten die Zähringer die Aarehalbinsel als idealen Siedlungsplatz und gründeten die Stadt Bern. Köniz ist ein Konglomerat aus Dörfern, Weilern, Höfen, mit verdichteten Zentren in Wabern und unter dem ehemaligen Schloss. Diese Terra incognita gelte es zu entdecken, ein neuer Reiseführer helfe dabei. Für die gute Zusammenarbeit dankt die Präsidentin der neuen Besitzerfamilie, ebenso für die zeitweilige Öffnung des Parks und die kulturelle Nutzung der Villa.

Ein Gespräch von Hans Ulrich Glarner, dem Spiritus Rector des Ortes, mit der amtierenden Denkmalpflegerin des Kantons Bern, Tatiana Lori, und ihrem Vorvorgänger Jürg Schweizer, der den GSK-Führer massgeblich verfasst hat, erlaubt einige Einblicke. Der Gegenstand des Führers könne sowohl als patrizische Campagne bezeichnet werden als auch in ihrer heutigen Form als Villa. Die 1739 fertiggestellte Campagne mit ihrem Phantasienamen war eine Sommerresidenz mit Bauernbetrieb, der es der Besitzerfamilie erlaubte, in der guten Jahreszeit dem Lärm und dem Gestank der engen Stadt zu entfliehen. Bis zu 1200 Fuhrwerke soll es – so Jürg Schweizer – damals an Markttagen in Bern gegeben haben. Die Frischings (man habe den Namen «Früschig» ausgesprochen, sagte Schweizer) wohnten im Palais an der Junkerngasse 59, im heute Beatrice-von-Wattenwyl-Haus genannten Repräsentationsbau des Bundesrats. Der Wunsch nach Sommerfrische erklärt die ursprünglich nordseitige Ausrichtung des Baus in einer Zeit, da nicht Bräunung, sondern die Helligkeit des Teints erwünscht war. Zu Beginn der 1950er-Jahre wurden die Salons und das Esszimmer auf die Südseite des Hauses verlegt, was wegen des symmetrischen Grundrisses möglich war. Selbst Fachleute erkennen heute diesen Umtausch von Süd nach Nord kaum.

Campagnen gab es im 17. und 18. Jahrhundert einige: Lohn in Kehrsatz, Mettlen in Muri, Oberried in Belp, Rothaus in Ostermundigen oder Hofwil in Münchenbuchsee. Einzelne waren Sitze der Herrschaftsinhaber, die indirekt regierten, so Hindelbank, andere ausschliesslich Sommerhäuser mit Landwirtschaftsbetrieb und Pächterfamilie. Die neue Villa – welcher der Kunstführer gewidmet ist – ersetzte die alte Campagne just zum Zeitpunkt des Übergangs vom erneuten Ancien régime (die Napoleonische Helvetik war beendet, die Mediation hatte die
Demokratie zurückgedrängt) zur liberalen Berner Kantonsverfassung von 1831: Aufrichte gefeiert wurde im Dezember 1830, kurz vor der Abstimmung, die Bern damals in eine neue Zeit führte.

Das Haus

Die Villa Morillon im Süden der Stadt Bern, auf Könizer Boden, hart an der Gemeindegrenze zur Stadt, ist ein herrschaftlicher Bau in einem Park, der grösser erscheint als er ist. Die BLS-
Linie Richtung Wabern begrenzt das Grün im Süden, die Seftigenstrasse im Norden, die intensiv befahrene Morillonstrasse im Westen. Gegen Osten geht der Park über in eine grosse Matte, auf der bald gebaut werden wird. Ein Fuss- und Veloweg führt jener grünen Grenze entlang.

Der private Bau blieb bis in die jüngste Zeit privat, «eine Insel ohne Brücken», wie Schweizer meint. Erst 2017 sei er als ehemaliger Denkmalpfleger beigezogen worden, um neue Nutzungen für das Haus zu suchen.

Heute werden die Villa und die Kutschnerei genutzt für Arbeitsplätze und für kulturelle Anlässe. Später wird in den im Südwesten des Areals geplanten Neubauten gewohnt werden. Die ehemalige Kutschnerei, ein Bau an der Stelle der um 1850 abgerissenen Campagne, sei – so Architekt Noah Spreng – «die eigentliche Perle» des Ensembles, die unterfangen, mit Solarzellen versehen und zu einem einmaligen Arbeitsort umgestaltet worden sei.

Um den Park als wesentlichen Teil der Anlage zu erhalten und dennoch den Betrieb finanzieren zu können, ist ein Teil für neue Wohnbauten ausgeschieden worden. Der «umwerfende Park» (Tatiana Lori) mit riesigen Bäumen, Brunnen und ovalem Teich wird in seinem englischen Charakter erhalten und nicht zum Freizeitrummelpark entstellt. Nur so kann – erklärt Neu­eigentümer Hans Widmer – die Balance zwischen Bewahren und Öffnen gehalten und eine stimmige Verbindung der Innenräume zum Aussenraum weiter bestehen. 

Die GSK

Hans Widmer dankt temperamentvoll allen Beteiligten für die konsensorientierte Kooperation und besonders der ehemaligen Eigentümerfamilie von Tscharner für den «vernünftigen» Kaufpreis, der eine Handänderung
innerhalb der Schweiz möglich gemacht habe. 

Den Abschluss macht die GSK. Direktorin Nicole Bauermeister rückt die Verdienste der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte als privatrechtlicher Verein ins Licht, der seit 1880 die vielfältige Baukultur unseres Landes allen zugänglich macht. Sie redet vom Nutzen der Milizarbeit für eine «culture de proximité» und lobt die 130 schwarzen Bände der Kulturdenkmäler sowie die seit etwa 1950 publizierten Kunstführer zu einzelnen Bauwerken, dank derer die Kultur zu den Leuten komme. 

Und Markus Schneider, bei der GSK zuständig für die Kunstführer, belässt es dabei, seinen Stolz über den eben aus der Taufe gehobenen 1132. Führer auszustrahlen. Er adelt das Morillon.

Der Kunstführer

Und der Kunstführer selbst? Er passt genau in die mittlerweile fast unüberblickbar gewordene Reihe. Der Stil ist sachlich, aber natürlich spürt man – zu Recht – die persönliche Begeisterung des Hauptautors Jürg Schweizer. Der detaillierte Beschrieb richtet sich eher an ein Fachpublikum und eines mit allgemein historischem Interesse, weniger an die sogenannt normalen Leute. Ein Glossar erläutert Fachbegriffe. Zahlreiche Pläne, Skizzen und Fotografien erfassen die Villa, ihre heutige Ansicht und ehemalige Innenausstattung sowie natürlich den Park, um den der «Beltwalk» verläuft, ein auch im Glossar erklärter Rundweg, englisch wegen des nach britannischer Gartenkultur angelegten Gartens.

Die Idee der palladischen Villen muss zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebendig gewesen sein. 1818 hat in der Nähe von Champagnole in der französischen Franche-Comté ein regionaler Industrieller das Château de Syam errichten lassen, genannt «La Villa Paladienne», da ebenfalls inspiriert von den palladischen Gebäuden in Vicenza. Das Château, vollständig aus der Zeit möbliert, ist im Sommer öffentlich zugänglich und kann für Anlässe genutzt werden. 

Nachgedanken

An zwei Stellen im Führer werden die Bediensteten erwähnt, ohne die im Betrieb der Campagne wie später der Villa nichts ging. Kaum etwas zu ihrer Unterbringung, kein Wort leider zu deren Arbeitsbedingungen. Hingewiesen wird
darauf, dass Sträflinge des Zuchthauses den Aushub für die Villa besorgten. Nichts liest man von der Umgebung des Gebäudes, der damaligen sozialen Lage der «normalen» Leute. Einmal wird erwähnt, seit dem späten 19. Jahrhundert «wucherte die Stadt Bern gerade im Südwesten in die freie Landschaft aus; die Verstädterung setzte sich nach den Weltkriegen fort und erreichte die Nordgrenzen des riesigen Landbesitzes». Die Stadt wuchs an den Ort der Sommerfrische heran. Heute erkennt man von der Eingangstreppe in der Ferne die Spitze des Münsterturms, der auch 1830 noch nicht seine gegenwärtige Höhe erreicht hatte.

Im Führer wird hingewiesen darauf, dass die Erstellung der Villa um 1830 die nach heutigem Geldwert ungeheure Summe von 35 Millionen Franken gekostet habe. Die Restaurierung 2022/23 kostete 9 Millionen. Hans Widmer ist bekannt. Woher aber hatten die früheren Bauherren, die Frischings, die von Wattenwyls, die von Tscharners ihre Vermögen, sie, die ja nicht Gewerbe treiben durften? Dies zu wissen, wird vorausgesetzt – oder verschwiegen. Vom Söldnerwesen, aus dem Handel? In der Villa gibt es Tapisserien aus der Serie «Les anciens Indes» mit Motiven aus der Kolonialzeit, zu der nichts näher berichtet wird. In keiner Weise soll jemand verdächtigt werden. Doch es befremdet, wenn heute dazu nichts geschrieben wird. Der Führer, in Vielem so ein­gehend, so ausführlich, wirkt da unerwartet still.

 

Campagne Morillon, Jürg Schweizer, 52 Seiten, 62 Abbildungen

www.morillonpark.ch


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