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«Systemwechsel durch die Hintertür»
Der Kanton Bern will wirtschaftsnahe Forschung länger fördern. Davon profitiert vor allem ein Institut - und ausgerechnet die Wirtschaft ist dagegen.
Der Kanton Bern will wirtschaftsnahe Forschung über längere Zeiträume finanziell unterstützen. Dafür will der Regierungsrat das Innovationsförderungsgesetz ändern. Neu sollen wirtschaftsnahe Forschungsinstitute wiederkehrend Gelder beantragen können. Bisher gab es dafür nur Anschubfinanzierungen. Diese waren auf maximal 8 Jahre beschränkt; danach sollten die Institute ohne staatliche Finanzierung auskommen können.
Damit aus dieser Forschung die grösstmögliche Wertschöpfung für den Kanton entstehe, brauche es aber wiederkehrende Finanzierungen, schreibt der Regierungsrat im Vortrag zur Gesetzesänderung. Neu soll deshalb alle vier Jahre ein Rahmenkredit für diese Art von Forschung gesprochen werden. In einem ersten Schritt schätzt der Regierungsrat diesen Kredit auf 12 bis 18 Millionen Franken von 2026 bis 2028, danach könne die Summe jeweils im ordentlichen Budgetprozess vom Parlament beschlossen werden.
Ein Gesetz für das CSEM
Das Gesetz selbst legt zwar nicht fest, welche Institutionen konkreter von dieser neuen Handhabung profitieren würden. Doch aus dem Vortrag geht hervor: Es geht vor allem um Medizinalinstitute wie die Sitem-Insel AG in Bern oder die Swiss Center for Design and Health AG in Biel. Allen voran aber dient die Vorlage dem Schweizer Forschungszentrum CSEM. Es hat seinen Hauptsitz in Neuenburg und gehört zu den führenden Zentren für angewandte Forschung in Mikro- und Nanotechnologien. Seit 2021 baut es eine Abteilung auf dem Berner Inselcampus auf, die für den Regierungsrat fester Bestandteil der Standortstrategie ist: Die Kantonsregierung hat sich 2012 zum Ziel gesetzt, Bern zu einem international führenden Medizinalstandort zu machen. Dazu gehört Spitzenforschung, wie sie das CSEM betreibt.
Ein entsprechender Kredit von 11,5 Millionen Franken für die neue Abteilung wurde im Sommer vom Grossen Rat bis 2026 gesprochen. Doch der allein reiche noch nicht aus, um das Zentrum nach Bern zu holen, schreibt der Regierungsrat. Denn das Zentrum ist über eine sogenannte Public-Private-Partnership finanziert: Es bezieht einen Drittel seiner Einnahmen aus öffentlichen Geldern von Bund und Kantonen, einen Drittel aus kompetitiven Forschungsgeldern und einen Drittel über private Investoren. Damit das Modell aufgeht, braucht das CSEM auch nach 2026 noch Gelder von Bund und Kanton.
Nur: Der Kanton Bern kennt bisher keine Grundlage, um eine solche Finanzierung zu sichern. Und der Bund orientiert sich bei der Vergabe seiner Forschungsgelder jeweils am Standortkanton. Sprich: Wenn das CSEM im Kanton Bern tätig sein will, kann es aktuell auch beim Bund keine weitere Finanzierung über die Anschubfinanzierung hinaus anfordern. Ohne diese Finanzierung müsse das CSEM die Abteilung in Bern entsprechend wieder abbauen, heisst es im Vortrag.
Förderung am Ziel vorbei?
Doch schon jetzt gibt es an der Vorlage Kritik - und das ausgerechnet aus der Wirtschaft. Adrian Haas, Geschäftsführer des kantonalen Handels- und Industrievereins, spricht von einem «Systemwechsel durch die Hintertür». Er sieht in der Vorlage viel Potenzial für Wettbewerbsverzerrungen. «Wenn die Privatwirtschaft in einem Projekt einen konkreten Mehrwert sieht, dann beteiligt sie sich auch», so Haas.
Gerade weil die Projekte früher oder später selbsttragend sein müssten, habe das System der Anschubfinanzierungen bisher wertvolle Anreize geschaffen und sichergestellt, dass man nicht an der Wirtschaft vorbeifördere. Mit der neuen Vorlage entfalle dieser Druck, da «bisherige Anschubfinanzierungen plötzlich mit nicht stringenten Begründungen in Dauerfinanzierungen umgewandelt werden können». Der Kanton schreibt dagegen, dass weder Bund noch Kanton eine unbedingte und dauerhafte Unterstützung sprechen würden. Vielmehr gehe es um «gezielte Weiterentwicklungen», sofern daraus ein klarer Mehrwert für die Wirtschaft entstehe. Davon verspricht man sich etwa neue Ansiedlungen von innovativen Unternehmen und damit mehr Arbeitsplätze, Investitionen, Patentrechte und ausgegliederte Unternehmen. Im Umkehrschluss führe die fehlende Finanzierungsmöglichkeit dazu, dass wichtige Institutionen aus dem Kanton wegziehen könnten und deren Wertschöpfung in andere Hochschulkantone mit Universitätsspitälern abwandere.
Zustimmung im Parlament
Das Argument lässt Haas aber nicht gelten. «Für die Standortwahl sind die harten Faktoren viel relevanter: die Verkehrserschliessung, die Steuerlast, die vorhandenen Fachkräfte», sagt er. Und selbst, wenn es zu einem Wegzug käme, sei das noch kein Grund für einen Systemwechsel. Vielmehr müsse man das System als Gesamtes hinterfragen: «Innovation lässt sich nicht staatlich verordnen. Warum also in einem Subventionswettbewerb mitmachen, der am Ende ineffizient und verzerrend wirkt?» Problematisch sei auch der vorgesehene Erlass der Liegenschaftssteuer. Es sei schwer, die tatsächliche Forschungsfläche abzugrenzen, so Haas. Auch das wirke wettbewerbsverzerrend. Zudem sollen die Gelder auch nicht als Objektkredite, sondern als Rahmenkredit beschlossen werden; der Regierungsrat habe also alle Entscheidungsmacht alleine und müsse die Verwendung der Gelder nicht vorgängig detailliert begründen. Der Umfang sei zwar derzeit noch klar beschränkt. Aber, so Haas: «Damit öffnen wir eine Schleuse, die sich im Nachhinein nur schwer wieder schliessen lässt.»
Die Vernehmlassung zur Gesetzesänderung läuft bis August; der Grosse Rat berät die Vorlage voraussichtlich 2025. Auch die Berner Handelskammer wird sich äussern. Für Haas ist klar, dass mindestens ein Objekt- statt des vorgeschlagenen Rahmenkredits gefordert werden müsse: «Damit wäre zumindest sichergestellt, dass vorgängig konkret begründet würde, was mit dem Geld geschieht.»
Trotz der Kritik dürfte die Vorlage insgesamt auf offene Ohren stossen. Schon im Sommer regnete es aus fast allen Parteien Kritik am Vorgehen des Regierungsrats, an der Kreditentscheidung ohne gesetzliche Grundlage. Angenommen wurde sie trotzdem deutlich – mit 92 Ja- zu 33 Nein-Stimmen.