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Für Lohn, Teilzeit und Sicherheit

Zum 1. Mai hat der «Anzeiger Region Bern» vier Personen gefragt, was ihnen der Tag bedeute, wofür sie im Einsatz seien und ob sie mit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, so wie sie aktuell ausgestaltet ist, zufrieden seien.

| Anina Bundi | Wirtschaft
Meret Schindler, Peter Steck, Manuel Willi, Frederic Plattner. Fotos: zvg
Meret Schindler, Peter Steck, Manuel Willi, Frederic Plattner. Fotos: zvg

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Meret Schindler, Gewerkschaft VPOD Bereich Pflege

«Der 1. Mai ist der Arbeitnehmenden-Kampftag und geht zurück auf einen Streik 1886 in den USA. An den Umzug in Bern ging ich schon als Kind mit meinen Eltern, und ich habe, auch als ich noch in der Pflege war, immer dafür freigenommen. Als Gewerkschafterin schaue ich, dass unser Stand bereit ist, dass die 1.-Mai-Bändel verkauft werden, vor allem aber muss ich unseren Leuten den Rücken stärken. Letztes Jahr habe ich kurzfristig eine Rede gehalten, das war kurz nachdem bekannt worden war, dass die Spitäler in Münsingen und in der Tiefenau schliessen. Unser Wirtschaftssystem müsste man im grösseren Rahmen umgestalten. Mit der neo­liberalen Marktwirtschaft, wie sie seit den 1980er-Jahren herrscht, geht immer mehr Geld an Leute an der Spitze, die gleichzeitig keinerlei Verantwortung wahrnehmen. Da war der Patron von früher fast besser. Ein Problem ist das kapitalistische System gerade auch im Gesundheitsbereich. Die Spitäler müssen rentieren, das geht aber mit der heutigen Finanzierung nicht. Die Folgen sind unzufriedenes Personal und schlecht versorgte Patienten. Dieses Jahr ist am 1. Mai die Anpassung der Löhne an die Teuerung ein Thema. Für die Pflege ist eine weitere Forderung die Reduktion der Arbeitszeit bei gleich­bleibendem Lohn. Die Schicht­arbeit ist eine massive Belastung, und ich bin überzeugt, es würden weniger Fachkräfte wieder aussteigen. Mit meinen persönlichen Arbeitsbedingungen bin ich zufrieden. Es gibt einen Punkt, den ich vielleicht ändern würde: Bei uns ist es Usus, nicht mehr als 80 Prozent zu arbeiten. Ich fände es gut, wenn wir diese Stunden bei gleichem Lohn als Vollzeit deklarieren würden. Das würde niemanden etwas kosten, wir würden aber als Vorbild vorangehen.»

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Peter Steck, Unternehmer und Präsident KMU Stadt Bern

«Für mich geht es am 1. Mai um die Wertschätzung der Arbeit. Er ist in Bern Tradition, aber kein Feiertag, und für uns Unternehmer ist es immer interessant zu lesen, welche Forderungen die Gewerkschaften stellen. Solange es an den Umzügen zu keinen Ausschreitungen kommt, stört der Anlass das Gewerbe kaum. Mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell, so wie es in der Schweiz ausgestaltet ist, bin ich zufrieden. Regelmässige Anpassungen vorzunehmen ist wichtig. Aber grundsätzlich haben wir den sozialen Frieden, und es geht uns insgesamt sehr gut. Die Sicht, dass der Kapitalismus böse und an allem schuld sei, kommt mir etwas weltfremd vor. Da geht manchmal vergessen, dass die ‹Wirtschaft› in der Schweiz nicht nur die grossen Konzerne sind. 99 Prozent der Firmen sind KMU, zwei Drittel der Schweizer Arbeitsplätze sind in KMU. 

Auch am Tag der Arbeit werden wohl die extremsten Meinungen den Diskurs bestimmen. Aber für Lösungen in der Arbeitswelt braucht es den Dialog. Die Gewerkschaften sind für uns Sozialpartner. Beiden geht es um Arbeitsplätze und dass es keine Ausbeutung gibt. In Bern treffen wir Wirtschaftsverbände uns regelmässig mit den Gewerkschaften zu den ‹Sozialpartner­gesprächen›, geleitet vom Stadtpräsidenten. Da wird sehr konstruktiv über aktuelle Themen diskutiert. Zum Beispiel über Probleme mit Subunternehmen oder über die Ladenöffnungszeiten. In meinem Carrosseriebetrieb habe ich kaum mit den Gewerkschaften zu tun. Die Lohnverhandlungen laufen auf nationaler Ebene, und meine Angestellten sind nicht gewerkschaftlich organisiert, es nimmt auch niemand frei, um am Umzug in der Innenstadt teilzunehmen.»

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Frederic Plattner, Maurer, Industrial Workers oft the World

«Am 1. Mai geht es darum, dass die Arbeiter*innen oder die Nicht-Besitzenden ihre Bedürfnisse bekannt machen und durchsetzen. Ich selber war recht früh an kommunistischen und anarchistischen Ideen interessiert, wo der Tag ja auch seine Wurzeln hat, und ging immer an den Umzug in Bern. Zum Beispiel für die uralte Forderung nach dem Achtstundentag, der ja für die meisten Arbeiter*innen immer noch nicht Realität ist. Seit einigen Jahren haben wir von den Industrial Workers of the World (IWW) auf dem Bundesplatz einen Stand, wo wir unser Material an die Leute bringen. Dieses Jahr verbringe ich den Tag nicht in Bern. Wir wurden von der Federazione Anarchica Italiana an den 1. Mai in Carrara eingeladen, der traditionell anarchistisch geprägt ist. Wir werden mit unseren Fahnen und Bannern präsent sein und uns mit anderen Gruppen vernetzen. Mit dem kapitalistischen Modell bin ich überhaupt nicht zufrieden. Ich bin grundsätzlich für die Abschaffung der Lohnarbeit und für die Basisdemokratisierung der Gesellschaft. Die Produktionsmittel sollten den Arbeiter*innen gehören, und sie sollten bestimmen, was bedürfnisorientiert produziert wird und wie sie arbeiten. Mit meinen persönlichen Arbeitsbedingungen bin ich, verglichen mit der Realität der meisten Maurer*innen, zufrieden. Bei uns ist es möglich Teilzeit zu arbeiten. Da hinkt die Baubranche weit hinterher. Sie geht immer noch vom Mann als Ernährer der Familie aus, was bedeutet, er ist von morgens früh bis abends von der Familie abwesend. Das ist schade für die Väter, verhindert, dass sich auch die Frauen beruflich entfalten, und macht es auch sehr schwierig für Mütter, auf dem Bau zu arbeiten.»

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Manuel Willi, Chef Regionalpolizei Bern

«Der 1. Mai ist der Tag, an dem die Arbeitnehmerbewegung ihre Forderungen zum Ausdruck bringt. Die Polizei wird zwar oft als Instanz wahrgenommen, die an Kundgebungen Einschränkungen macht. Aber unsere Aufgabe ist, nebst der Gewährleistung der Sicherheit, die verfassungsmässige Kundgebungsfreiheit sicherzustellen und sie auch gegen Einschüchterungsversuche Andersdenkender zu verteidigen. Da es in Bern jährlich rund 280 Kundgebungen gibt, ist der 1. Mai eigentlich ein normaler Tag für uns. Mehr Polizisten und Polizistinnen stellen müssen wir, wenn ein grosses Gewaltpotenzial besteht oder wenn besonders grosse Verkehrseinschränkungen zu erwarten sind, das ist hier beides nicht der Fall. Überhaupt ist schön, dass die meisten Kundgebungen friedlich verlaufen. Zur Frage, ob ich das kapitalistische Modell gut finde: Als Polizei haben uns die politischen Inhalte nicht zu interessieren. Das Korps ist ein Abbild der Gesellschaft, und es gibt unter den Polizisten und Polizistinnen unterschiedlichste Meinungen. Im Dienst muss man diese ablegen und für die gesamte Bevölkerung da sein. Mit unserer Gewerkschaft, dem Verband Schweizerischer Polizei-Beamter, sind wir in engem Kontakt. Als Polizist lebt man immer mit dem Risiko, angezeigt zu werden, da bietet der Verband Rechtsschutz, das ist einer der Gründe, warum viele dabei sind. Ich selber bin nicht zuletzt Mitglied, weil ich wissen will, was gerade läuft. Mit meinen persönlichen Arbeitsbedingungen bin ich zufrieden. Der Kanton Bern ist ein fairer Arbeitgeber. Was die Mitarbeitenden angeht – mehr Lohn wäre natürlich immer schön. Wenn man aber alle Faktoren berücksichtigt, ist es sinnstiftende und attraktive Arbeit.»


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