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Sexuelle Belästigung: So wehren sich die Frauen auf dem Bau

Die Malerin Manuela W.* hat auf der Baustelle regelmässig übergriffiges Verhalten erlebt. Heute engagiert sie sich in der Vernetzung der Frauen auf dem Bau und weiss, dass ihre Erlebnisse keine Einzelfälle waren.

| Anina Bundi | Wirtschaft
Frauen sind auf dem Bau meist in der Minderheit. Foto: Unsplash
Frauen sind auf dem Bau meist in der Minderheit. Foto: Unsplash

Über die Hälfte der Frauen, die auf dem Bau arbeiten, hat schon sexuelle Belästigung erlebt, bei fast einem Fünftel kommt es «immer» oder «häufig» vor. Das ergab eine Umfrage der Gewerkschaft Unia bei rund 300 Frauen, die im Bauhaupt- oder Ausbaugewerbe arbeiten. Definiert ist sexuelle Belästigung in der Umfrage als blöde Sprüche, anzügliche Witze und Bemerkungen über das Aussehen. Sexualisierte Gewalt, definiert als ungewolltes Anfassen, ungewollte Anrufe oder belästigende Nachrichten, erleben 7,7 Prozent der Befragten «häufig» oder «immer», weitere 19 Prozent «hie und da».

 Solche  Erfahrungen haben auch Manuela W.* aus der Region Bern und ihre Kolleginnen auf dem Bau gemacht. Auch auf dem Instagram-Account «buetzer_inne» kann man ähnliche Erlebnisse nachlesen. Die Geschichten reichen von Komplimenten über den Hintern über Kopf-Tätscheln bis zum Angrabschen oder dem Auspacken von Genitalien.

Zermürbend ist die schiere Menge

Am schlimmsten sei es auf einer Grossbaustelle gegen Ende ihrer Lehre gewesen, auf der sie die einzige Frau war, sagt Manuela W. Sie wurde betatscht, musste sich dauernd scheinbar flirtige Sprüche anhören, ein Arbeiter nahm sie am Arm und versuchte, sie in einen Abstellraum  zu ziehen. Letzteres eine bedrohliche und ganz und gar nicht mehr lustige Situation. Andere Erlebnisse sind subtiler. 

Kaum eine Frau ist traumatisiert wegen einer Bemerkung über ihren Hintern oder einem Witz über ein imaginiertes Verhältnis mit einem Arbeitskollegen. Zermürbend sei die schiere Menge an solchen Erlebnissen, erzählt Manuela W. «Man denkt darüber nach, was man anzieht, ob man wirklich ein Top tragen will im Hochsommer – während die Kollegen schon seit Wochen oben ohne arbeiten. Man muss dauernd überlegen, wie man reagieren will, und parat sein, zu kontern. Das ist enorm ermüdend, weil eigentlich ist man zum Arbeiten da.» Dabei sei ihr immer bewusst, dass sie als weisse Frau noch einigermassen privilegiert sei. «Schwarze oder migrantische Frauen erleben diese ständige Sexualisierung noch verstärkt, dazu kommt der tägliche Rassismus. Und queere oder trans Menschen auf dem Bau müssen sich dazu noch Anzüglichkeiten über ihre sexuelle Orientierung oder ihre Geschlechtsidentität anhören.» 

Vom Kleinmachen zum Be­lästigen

Anfangs habe sie sich selbst verantwortlich gefühlt. «Ich fand, wenn ich das nicht aushalte, dann sei ich zu wenig stark für den Beruf.» Nach dem Erlebnis mit dem Abstellraum, noch während der Lehre,  habe sie dann aber alle ihre sexistischen und belästigenden Erlebnisse aufgeschrieben. «Als ich die Länge der Liste gesehen habe, musste ich weinen, weil ich realisiert habe, wie schlimm es eigentlich ist.» 

Viele ihrer Erlebnisse und auch jener, die man auf Instagram nachlesen kann, haben nicht direkt sexualisierte Inhalte, sondern sind einfach frauenfeindlich. Da geht es um Kunden, die sich mit Fragen lieber an den 15-jährigen männlichen Lehrling wenden als an seine erfahrene Ausbildnerin, um die Erwartung, dass die einzige Frau im Team sich um Kaffee kümmert, um Sprüche, ob der Farbkübel nicht zu schwer sei für eine Frau. Für Manuela W. gehören diese Erlebnisse alle in die gleiche Logik. «Man ist dann nicht die Malerin, sondern immer ‹die Frau›, man wird verunsichert und kleingemacht. Für mich ist das die Vorstufe zu sexueller Belästigung.» 

Heute weiss sie, dass es auch anders geht. An ihrem jetzigen Arbeitsplatz wird sie vom Chef und den Kollegen respektiert, was sich, teils zeitlich verzögert, auch auf das Verhalten der Kundschaft und die Stimmung auf der Baustelle auswirkt. Tatsächlich sind in der Schweiz die Arbeitgeber durch das Gleichstellungs- und das Arbeitsgesetz verpflichtet, ihre Mitarbeitenden vor Belästigung zu schützen und für ein respektvolles Arbeitsklima zu sorgen. Die Maler- und Gipserbranche, wo das Geschlechterverhältnis unter Lehrlingen mittlerweile fast ausgeglichen ist, hat einen entsprechenden Passus im Gesamtarbeitsvertrag verankert. Manuela W. sieht alle in der Pflicht – vom Büetzer bis zum Chef –, vor allem aber die Führungskräfte. «Es muss von oben her ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, welches Verhalten nicht okay ist.» Es brauche Bildung und Aufklärung und Ansprechpersonen in der Firma, an die sich Betroffene wenden
können.

Der Austausch als erster Schritt

Ein erster Schritt ist die Vernetzung. So treffen sich im Rahmen der Unia-Kampagne «Frauen auf dem Bau» regelmässig Frauen, queere und  trans Menschen verschiedener Berufe zum Austausch. Da der Frauenanteil in der Baubranche bei knapp 10 Prozent liegt, sind sie oft allein mit ihren Nöten. «Oft hilft es schon nur, sich mal auszukotzen und zu merken, dass es allen anderen auch so geht», so Manuela W. Man helfe einander auch mit Tipps, überlege zusammen, wie man etwas am besten anspricht.

Aus den Unia-Treffen sind Aktionen entstanden. Zum Beispiel wurden Kleber gestaltet mit Sprüchen wie «Mein Körper ist nicht dein Bier» oder «Augen auf, Chef: Stopp sexuelle Belästigung». Damit können Betroffene ein Zeichen setzen, ohne sich zu exponieren, und zwar da, wo es hingehört: Am Spind des Belästigers, am Postfächli des Chefs, auf dem Baustellen-WC, wo man oft sexistische Sprüche lesen kann. Wie viele Kleber im Umlauf sind, weiss die zuständige Gewerkschafterin Daniela Karst nicht genau. Es kämen aber immer noch Bestellungen rein – oft von Männern, was zeige, dass sich eben auch viele Männer störten an den Belästigungen  auf dem Bau.

Durch die Beschäftigung mit dem Thema Belästigung sei sie heute stärker als früher und stehe eher für sich ein, sagt Manuela W. «Es kommt aber immer noch vor, dass ich schlicht nicht weiss, wie reagieren.»

 *Name der Redaktion bekannt


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