Das ist so ein Moment, wenn im Zug von Bern nach Zürich die grau vorbeiziehende Landschaft auf einmal, naja, vielleicht nicht gerade golden aufleuchtet, doch aber mit einem Schlag von schlecht-melancholisch zu gut-melancholisch wechselt, wenn einen im dicht gefüllten Viererabteil also ein verzehrendes Gefühl ergreift und man diese Strecke für immer weiterfahren möchte.
Der Glücksmoment dauert exakt zwei Minuten und 27 Sekunden, zwischen Olten und Altstetten wiederhole ich ihn noch um die zwölf Mal. (Rechtzeitig aufhören, bevor ein Lied einem verleidet, wäre eine hohe Kunst.)
Es gibt zu «Gucci Schueh» auch ein Video: ein Onetake in einer kargen Halle irgendwo, durch die Fenster an der Rückwand sieht man Autos vorbeifahren, in der Mitte steht Edb im schwach grünlich schimmernden Neonlicht. Die Locken über den Augen, im weissen Hemd und dunklen Pullunder, bewegt er sich mit wenigen Gesten und taumelnden Schritten, das wär’s dann auch schon. Beziehungsweise ist’s eben genau noch nicht, weil dieser junge Rapper aus Bern nun auf nicht einmal zweieinhalb Minuten mit seiner Stimme eine Welt auftut, sodass man sprachlos zurückbleibt, sich kurz schüttelt: Was war das denn jetzt? «Gucci Schueh» ist ein Klagelied an die schönste Frau der Welt, deretwegen alle Spiegel zerbrechen und man sich selbst zum letzten Affen macht, aber sie will nicht. Sie will einfach nicht!
Sein Traum, das Haus mit Pool und Garten für die gemeinsamen Kinder, und ihr Traum, ein Sportwagen und teure Gucci-Schuhe, werden hier einander diametral gegenübergestellt. Und dass er ihr halt die Schuhe kaufen würde und nicht das Haus, das ist von vornherein schon ausgeschlossen: Den Regenbogen will sie ja auch nicht, auch nicht tausend Lieder, und mit Geld kann man sich die Liebe nicht erkaufen, die Freiheit aber ein Stück weit schon.
«Gucci Schueh» hat keinen Refrain, baut immer höher auf und führt doch nirgendwo hin, ein herzzerreissendes Glück in diesen Tagen, ein kleines Wunder von einem Song. Und dieser Edb, ein wunderliches Wesen, man kann sich gefasst machen. Im Frühling kommt die EP.
Edb: «Gucci Schueh», 2024.
Alice Galizia schreibt über Musik, zum Beispiel im «KSB Kulturmagazin» und in der WOZ, und veranstaltet Konzerte, zum Beispiel im Café Kairo. Sie lebt in Bern.