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Unsere Kolumnistin Saskia Winkelmann berichtet in dieser Kolumne von den Endproben der Performance «Hundsköpfige», die sie zusammen mit Marie Popall und Team realisiert. Dabei scheinen die Grenzen zwischen Theater und Wirklichkeit zu verschwimmen...
Kunst ist seltsam. Theater ist seltsamer. Dies soll kein Text über Sinn und Unsinn von Theater sein (davon in einer anderen Kolumne), aber da ich mich gerade mitten in den Endproben für ein Stück befinde, komme ich nicht drum herum, davon zu berichten, wie sechs Erwachsene jeden Tag mindestens acht Stunden verschwinden, um an einer Welt weiterzubauen, die sie sich ausgedacht haben. Es fing harmlos an. Sechs Wochen schienen erst eine lange Zeit zu sein; kein Problem. Aber irgendwann kann man an gar nichts anderes mehr denken. Man telefoniert rum, wo es Pferdehaar in rauen Mengen zu kaufen gibt, eine muss stundenlang lernen, wie man die Stimme ohne Effektgerät verzerrt – brüllt also in einem Raum für sich alleine rum – und wieder jemand muss kontinuierlich in ein scheinbar unendlich grosses Stück Leder Nägel einschlagen, damit das Objekt, das liebevoll «Rochen» genannt wird, fertig wird bis zur Premiere.
An der Wand im Proberaum sammeln sich Post-Its, die ständig neu verschoben werden – wie ein Schlachtplan. Auch die Sprache verändert sich. Sie morpht sich zu einer Geheimsprache, die Aussenstehende nicht verstehen. Man spricht selbstverständlich von dem «Glitzer-Moment», der «Dolce-und-Gabbana-Choreo», dem «Robo-Rave». Das alles schleicht sich bis in die Träume. Gegen Ende ist jede Nacht Premiere oder eine schreckliche Probe, aus der man nie wieder rauskommt. Wenn ich mit meiner Freundin telefoniere, fällt es mir schwer, von anderen Dingen zu sprechen.
Plötzlich sind sechs Wochen nicht mehr viel, sondern unglaublich wenig Zeit. Wir brauchen mehr davon! Aber länger reichen weder Budget noch Nerven, wahrscheinlich auch keine Beziehungen. Es ist wie früher im Klassenlager: am Ende findet man alle ein bisschen doof, weil man sich so nah ist. Das ist mein erster Probeprozess, den ich von Anfang bis Ende mitmache – es mag für andere ganz anders sein. Und wahrscheinlich ist nichts davon wahr.
Ich sitze nämlich seit Stunden in einem dunklen Raum und wir richten Scheinwerfer ein. Dabei fange man auch mal an zu halluzinieren, wird gemunkelt. Und ich denke darüber nach, wie wir wochenlang an etwas arbeiten, das dann nur eine Stunde auf der Bühne zu sehen ist. Aber so ist es auch mit dem Kochen und dem Essen, oder? Und trotzdem muss man es tun. Keine Kunst ist keine Option.
Saskia Winkelmann ist freie Autorin und DJ. Sie hat 2023 ihren ersten Roman veröffentlicht. Im Moment arbeitet sie mit Marie Popall und Team an der Performance «Hundsköpfige», die am 8. Mai im Fabriktheater Zürich Premiere feiert.