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Kathartischer Blues der liebeskranken Ganoven
Schauspielerin und Sängerin Elena Mpintsis hat zusammen mit ihrem Mann, Musiker und Autor Boni Koller, ein Stück entwickelt, das sich dem Rembetiko widmet – dem Blues der umgesiedelten Griechen, die in den Häfen Athens und Thessalonikis ihr trauriges Schicksal musikalisch virtuos verarbeiteten.
2022 jährte sich zum hundertsten Mal der Brand von Smyrna (Izmir). Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurde Izmir zur griechischen Besatzungszone – das Osmanische Reich stand während des Ersten Weltkrieges auf der Seite der Mittelmächte, während sich Griechenland der Entente anschloss. Mit der Einnahme der Stadt durch Mustafa Kemal Atatürk endete die Besatzung. Ein türkischer Mob hängte den Erzbischof von Smyrna, Tage später brachen Feuer in den griechischen und armenischen Vierteln aus. Die Bevölkerung musste fliehen. Im Vertrag von Lausanne 1923 wurde schliesslich ein Bevölkerungsaustausch vereinbart, der die griechische Bevölkerung in Kleinasien zwang, nach Griechenland auszuwandern – und umgekehrt: Türkischstämmige Griechen mussten von Griechenland in die Türkei umsiedeln.
Diese Tragödie, die viele Menschen ihrer Heimat beraubte, ist auch Teil von Elena Mpintsis’ Familiengeschichte; ihre Urgrosseltern wurden von der Türkei nach Griechenland umgesiedelt. So nahm sich die Schauspielerin und Sängerin zusammen mit ihrem Ehemann Boni Koller, Musiker, Autor und Theatermacher, der traurigen Geschichte künstlerisch an. Angesichts der Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre wollte Mpintsis auch eine Hommage an die Geflüchteten und Gastarbeiter auf die Bühne bringen. Sie wuchs als Tochter griechischstämmiger Eltern in Thayngen (Kanton Schaffhausen) auf. «Damals wollte ich einfach nur so sein wie die anderen», erinnert sich Mpintsis an die schmerzvolle Erfahrung des Andersseins in der Kindheit. In der Schauspielschule habe sie diesen Identitätskonflikt schliesslich aufgearbeitet und für sich fruchtbar
gemacht.
Leid und Galgenhumor
Seit über zwanzig Jahren pflegt sie mit ihrer Band Saloniki Express «den griechischen Blues». Der sogenannte Rembetiko erlebte seine Blütezeit in den 30er-Jahren in den Hafenvierteln Athens und Thessalonikis. Darin verarbeiteten die umgesiedelten Griechen den Verlust der alten Heimat. Ihr Blues, der viele multikulturelle Einflüsse vereint, handelt von Liebe, Leid und Ganoventum. Mpintsis wuchs mit dem Rembetiko auf: «Zu Hause wurde getanzt und gesungen.» Boni Koller erinnert sich: «Als ich vor 40 Jahren den gleichnamigen Film im Kino sah, war ich
von dieser Musik gleich fasziniert.» Er musste nicht lange überlegen, als ihn seine Ehefrau fragte, ob er Zeit und Lust habe, ein Stück über den Rembetiko und seinen traurigen Hintergrund zu schreiben. «Die Musik lebt auch vom Galgenhumor», so Koller über den schweren Stoff. Während des Stückes werden die Liedtexte eingeblendet. «Ich bin ein Derwisch, ach ich sage es / der aus Smyrna vertrieben wurde. / Und ich weine deswegen, betrinke mich / und rauche Haschisch im Café-Aman» lautet etwa eine Strophe. «Das Stück schlägt auch immer wieder den Bogen zu heute, ohne zu moralisieren», so Koller.
Zwischen Fiktion und Autobiografie
So entstand im gemeinsamen Dialog «Tanz zur Tragödie», in dessen Zentrum Sofia steht, gespielt von Elena Mpintsis. Sofia ist im Heute verankert und das Bindeglied zwischen den fünf Generationen, deren Geschichte erzählt wird. Die Reise beginnt mit der Flucht der Urgrossmutter von Smyrna nach Athen. Sie singt in den Hafenvierteln und heiratet den Besitzer eines Nachtlokals. Die älteste Tochter wird mit 19 Jahren zwangsverheiratet, ihre Kinder migrieren in den 60er-Jahren ins Ruhrgebiet. Hier lernen sich auch Mpintsis’ Eltern kennen, bevor sie zusammen in die Schweiz einwandern. «Fiktion und Autobiografie sind im Stück ineinander verwoben», so die Schauspielerin. Das sei nur in der Zusammenarbeit mit Ehemann Boni Koller so möglich geworden. Wäre jemand von aussen mit diesem Stück an sie herangetreten, hätte sie sich nicht darauf eingelassen – oder es wäre ein anderes Stück geworden, so die Schauspielerin. Durch die Recherche seien ihr Dinge bewusst geworden, die zuvor im Dunkeln lagen. Sie habe etwa über das Schicksal des Grossvaters, der ein Waisenkind war, Neues erfahren.
Bogen zum Heute
Ein weiterer Glücksfall war die Zusage von Bouzouki- und Oud-Spieler Jorgos Stergiou, dem die musikalische Leitung obliegt. Er ist selbst ein Nachfahre von Vlachen aus dem Balkangebiet und verbrachte seine Kindheit in Griechenland und der Schweiz. Mpintsis entschloss sich, im Stück nicht selbst zu singen: «Mit Lida Doumouliaka konnte Jorgos eine Sängerin gewinnen, die ebenfalls vom Rembetiko geprägt wurde und es auf den Punkt bringt.» Christian Vandersee (Violine, Baglamas) und Ioanna Seira, die mit dem Cello den Bogen zum Heute spannt – im Rembetiko kommt es üblicherweise nicht vor –, komplettieren die Band. Mpintsis und Koller sind beide begeistert von der Leistung der vier Musikerinnen und Musiker: «Sie passen einfach wahnsinnig gut zusammen.»
Auch das Publikum ist berührt. Mpintsis erzählt von Bekannten ihrer Eltern, deren Wurzeln auch bis nach Smyrna reichen. «Sie drückten nach der Inszenierung ihre Freude aus, dass ich diesen Beruf gewählt habe, und kamen durch das Stück wieder in Kontakt mit meinen Eltern, die mittlerweile wieder in Griechenland leben», so die Schauspielerin. Und in Zürich sei jemand im Publikum gesessen, dessen Familie zurück in die Türkei umgesiedelt worden sei. Auch er habe sich im Stück aufgehoben gefühlt.
Theater Remise, Bern, 25. Mai, 20.00 Uhr
theaterremisebern.ch
rodi-kultur.ch
Elena Mpintsis und Boni Koller führen auch Musiktheater für Familien auf, in dem die ausserirdische Besucherin «Ffftsch» (gespielt von Elena Mpintsis) ihren Auftritt hat. Hier gibt's den brandneue Videoclip «Am Morge z‘müed» von Boni Koller & Ströiner mit Ffftsch zu sehen.