Mit Fortsetzungen ist es so eine Sache. Gerade wenn nach Jahren ein zweiter Teil eines wirklich erfolgreichen Buches angekündigt wird, bin ich skeptisch. Zu oft entsteht der Eindruck, Autor:innen würden insbesondere finanzielle Ziele verfolgen und an einen früheren Spitzenerfolg anknüpfen wollen.
Nicht anders erging es mir bei der Ankündigung der Fortsetzung des Weltbestsellers «Der Junge im gestreiften Pyjama». Wie sollte nach diesem Ende die Geschichte überhaupt weitererzählt werden?
Wir erinnern uns: «Der Junge im gestreiften Pyjama» endet mit dem Tod Brunos, der seinem Freund Schmuel ahnungslos in die Gaskammer gefolgt ist. Knapp 80 Jahre später reflektiert Gretel, Brunos Schwester, in London ihr Leben und setzt sich mit der Frage der Schuld auseinander. Wie viel Schuld trägt sie am Schicksal ihres Bruders? Wie viel Schuld lastet als Tochter des Lagerkommandanten auch auf ihr? Wie steht es um die Schuld der Mutter, die nach dem Krieg unter anderem Namen in Frankreich unterzutauchen versuchte? Was kann sie heute, im Jahr 2022, tun, um Menschen zu helfen und sich nicht schuldig zu machen? Spätestens als Gretel bemerkt, dass der Nachbarsjunge misshandelt wird, entscheidet sie, zu handeln.
Ganz fein, leise gar, spannt John Boyne in diesem Buch den Bogen aus der Vergangenheit in die Gegenwart, ohne den Vorgängerroman und dessen Handlung zu verraten oder plump wirken zu lassen. Intelligent und spannungsreich werden wir bei der Lektüre in ein Leben entführt, das von der Familiengeschichte getrübt und doch nicht verwirkt ist.
John Boyne beweist mit dem aktuellen Roman «Als die Welt zerbrach», der kürzlich auch als Taschenbuch erschienen ist, dass Fortsetzungen auch klug und mit viel Feingefühl erzählt werden können.
Boyne, John: «Als die Welt zerbrach», Piper, 2024.
Buchhandlung Klamauk
www.klamauk.be