Eigentlich wollte ich über das «Zuhausegefühl» schreiben. Doch nachdem ich tagelang um meinen Computer rumgeschlichen bin, musste ich mir eingestehen, dass ich noch zu viele lose Gedankenenden im Kopf habe, dazu, wie und warum wir uns wo zuhause fühlen (können, sollen, wollen). Aber wovon ich in den letzten Tagen allen, die mir begegnet sind, vorgeschwärmt habe, und auch hier gerne vorschwärmen will, ist meine Liebe zu öffentlichen Bibliotheken (und Schwimmbädern, aber davon in einer anderen Kolumne).
Für mich, eine mit luftigen Gedanken, die schnell entweichen, sind soziale Kontrolle, Stille und lesende Menschen der ultimative Konzentrationsboost. Aber auch portables Zuhausegefühl. Deshalb (und weil ich eine Fernbeziehung führe) habe ich diesen Sommer sechs Wochen in einer Bibliothek in einer deutschen Grossstadt verbracht – sitzend, schreibend. Mit dabei, meine Crew: Links der Kauz, der seine eigene karierte Tischdecke und einen uralten Rechner mitbrachte. Rechts eine Person, die in einem Heft deutsche Rechtschreibung übte. Hinter uns eine Rentnerin, die eine Tageszeitung las und Kaffee trank. Ich sah sie jeden Tag. Auch wenn es allen drei herzlich egal gewesen wäre, hätte ich an meinem Handy Scrabble gespielt, hielt mich doch allein ihre Präsenz davon ab. Ihre Konzentration übertrug sich auf mich, als ob ich ein Schwamm wäre. Ihr Vertieft-Sein half auch mir, abzutauchen.
In einer grossen Stadt einen Ort zu haben, der, still und klimatisiert, einem grossen Teil der Menschen zugänglich ist (die Bibliotheksbesuchenden in dieser Grossstadt waren diverser als jedes alternative Festival-Lineup, übrigens), empfand ich als kleine utopische Insel, auf der ich meine Schreibklausur verbringen wollte und konnte.
Ich finde es schlimm, dass viele Städte an genau solchen Orten sparen! In dieser einen Bibliothek regnet es rein (wortwörtlich) und die Mitarbeitenden sind bei Gewitter damit beschäftigt, den Bestand vor Nässe zu retten. Dabei brauchen wir solche unprätentiöse Orte der Ruhe und der niederschwelligen Bildung, die sich ausserhalb der eigenen vier Wände (die nicht für alle Ruhe bedeuten) befinden. Orte des gemeinsamen Lesens, Lernens, Seins, Denkens sind ein wichtiger Pfeiler einer Gesellschaft. Und bestimmt nicht nur meines Zuhausegefühls.
Saskia Winkelmann ist freie Autorin. Sie hat 2023 ihren ersten Roman, «Höhenangst», veröffentlicht. Sie empfiehlt das Buch «Zuhause» von Daniel Schreiber und öffentliche Bibliotheken.