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Die Kirchen lancieren eine Charmeoffensive

Die drei Landeskirchen des Kantons Bern legten Zeugnis ab, was sie alles im gesamtgesellschaftlichen Interesse tun. Freiwillige leisten fast eine Million Arbeitsstunden pro Jahr im Dienst der Allgemeinheit. Dass die Kirchen Rechenschaft über ihre Leistungen ablegen, hat einen politischen Kontext.

| Adrian Hauser | Politik
Kirchenvertreter betonen den gesellschaftlichen Wert ihrer Arbeit. Foto: Adrian Hauser
Kirchenvertreter betonen den gesellschaftlichen Wert ihrer Arbeit. Foto: Adrian Hauser

Für einmal standen im Hip-Hop-Center Bern nicht Reime, Beats oder coole Moves im Mittelpunkt, sondern Zahlen. Oder genauer: die Leistungen der drei Landeskirchen im gesamtgesellschaftlichen Interesse. Vor den Medien aufgetreten sind Judith Pörksen Roder, Synodalratspräsidentin der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn, Marie-Louise Beyeler, Präsidentin des Landeskirchenrats der Römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Bern, Christoph Schuler, Präsident des Landeskirchenrats der Christkatholischen Landeskirche des Kantons Bern und Esther Richard, Präsidentin des Kirchgemeindeverbands des Kantons Bern. 

Ihre Mission: Darlegen, was die Kirchen für die Gesellschaft alles tun. So betragen die Leistungen von Freiwilligen der drei Landeskirchen im Kanton Bern zugunsten der Allgemeinheit 833 000 Stunden pro Jahr. Dies entspricht 397 Vollzeitstellen. Den Löwenanteil davon erbringen die Reformierten. In Franken ausgedrückt, erbringen diese gesamtgesellschaftliche Leistungen in der Höhe von durchschnittlich rund 143 Millionen Franken pro Jahr. 51 Prozent davon fliessen in soziale Projekte, 35 Prozent in Bildung und 14 Prozent in Kultur. 

Die römisch-katholische Kirche erbringt jährlich Leistungen für die Gesamtgesellschaft in der Höhe von durchschnittlich rund 40 Millionen Franken, die christkatholische als kleinste Landeskirche Leistungen
in der Höhe von durchschnittlich 700 000 Franken. Diese Zahlen umfassen die Leistungen von ehrenamtlichen und bezahlten Mitarbeitenden. Und für die Landeskirchen ist klar: «Der Staat könnte dies nicht alles selbst finanzieren.» Zudem hätten die Kirchen nicht nur die Arbeitskräfte, die für die Erbringung der Leistungen nötig sind, sondern auch die dazu erforderliche Infrastruktur. Und dies nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land.

Angebote für alle

Der Ort des Medienauftritts wurde mit dem Hip-Hop-Center bewusst gewählt. Man wollte aufzeigen, wo überall Kirche drinstecke, was von aussen kaum wahrgenommen werde. Das Hip-Hop-Center selbst wird von den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn und von «Akib» getragen. «Akib» (Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen Region Bern) ist eine Vereinigung verschiedener christlicher Gruppierungen, darunter auch die römisch-katholische, die christkatholische Kirche oder Vineyard Bern als freikirchliche Vereinigung. Das Hip-Hop-Center ist ein niederschwelliges Angebot der kirchlichen ­Jugendarbeit und will eine Brücke dieser Kultur zur Kirche schaffen. 

Es gibt noch viele weitere Beispiele dieser Art. Vielen bekannt ist beispielsweise Die Dargebotene Hand. Das Sorgentelefon steht rund um die Uhr allen offen und wird zu einem grossen Teil von den Kirchen finanziert. Auch in den Care-Teams, die bei Naturkata­strophen und schlimmen Unfällen ausrücken, steckt Kirche drin. Die Landeskirchen zahlen im Kanton Bern einen Teil der Lohnkosten der Leitungsstelle und stellen eine Spezialseelsorge­stelle zur Verfügung. Verschiedene Geistliche sind zudem im Care-Team des Kantons Bern engagiert und bieten den von einem schweren Schicksalsschlag Betroffenen notfallseelsorgerliche Unterstützung. Solche Beispiele gibt es noch viele. Die Kirchen engagieren sich in der Altersarbeit, bei der Bekämpfung von Armut, in der Flüchtlingsarbeit, bei der Arbeitsintegration von Jugendlichen oder bei der Begleitung von Menschen mit Behinderung. 

Und: «Wir leisten einen Beitrag zu einer solidarischen und friedlichen Gesellschaft», waren sich alle Anwesenden einig. Ausserdem wurde betont, dass die Angebote der Kirchen allen offen stünden, unabhängig von Herkunft, Sprache oder Religion. Vor allem die römisch-katholische Kirche biete Fremdsprachigen eine kulturelle Heimat.

Politischer Kontext

Die Charmeoffensive der Landeskirchen hat einen politischen Hintergrund, was an der Medienkonferenz auch transparent gemacht wurde. Denn sie müssen erstmals gegenüber dem Kanton Rechenschaft über ihre Leistungen ablegen. Dies markiert auch einen Systemwechsel, hin zu mehr Trennung von Kirche und Staat. Vor der Einführung des neuen Landeskirchengesetzes im Jahr 2020 waren Pfarrpersonen direkt vom Kanton angestellt und bezahlt. Mit dem neuen Landeskirchengesetz gingen diese Anstellungsverhältnisse an die Landeskirchen über. Für die Entlöhnung der Geistlichen entrichtet der Kanton den Landeskirchen einen Sockelbeitrag. Gemäss der gesetzlichen Grundlage erhält die evangelisch-reformierte Landeskirche 34,8 Millionen Franken, die römisch-katholische Kirche 8 Millionen Franken und die christkatholische Kirche 440 000 Franken. Dieser Beitrag für die gesamtgesellschaftlichen Leistungen ist nebst dem Sockelbeitrag quasi Verhandlungssache. Die Landeskirchen müssen alle sechs Jahre mit dem Kanton die Beiträge jeweils neu aushandeln und Bericht erstatten. Die Höhe des Beitrags wird vom Grossen Rat festgesetzt, und diese Diskussion steht nun in der Herbstsession an. 

Bereits in der Frühlingsession wird ein Vorstoss von FDP-Grossrat Carlos Reinhard aus Thun diskutiert. Dieser verlangt, dass die Kirchensteuer für Unternehmen freiwillig wird. Die Kirchen befürchten damit eine faktische Abschaffung der Kirchensteuer. Denn wer zahlt schon gerne freiwillig Steuern? Die Motion zielt darauf ab, das Verhältnis von Kirche und Staat weiter zu entflechten. Der Regierungsrat hält in seiner Antwort fest, dass dies weitreichende Konsequenzen für die Kirchen haben könnte. Im Jahr 2021 gingen gemäss dem Regierungsrat Steuergelder von juristischen Personen in der Höhe von 36,8 Millionen Franken an die Landeskirchen. Erfahrungen aus dem Kanton Neuenburg hätten gezeigt, dass bei einer Aufhebung der Steuerpflicht für Unternehmen mit einem deutlichen Rückgang der Erträge zu rechnen wäre. «Dies hätte zur Folge, dass die Landeskirchen ihre Leistungen im gesamtgesellschaftlichen Inte­resse wie beispielsweise die Angebote für Kinder und Jugendliche, Armutsbetroffene oder Betagte deutlich reduzieren müssten», so der Regierungsrat. 

Der Regierungsrat anerkennt aber auch, dass mit einem solchen Vorstoss den Veränderungen in der religiösen Landschaft Rechnung getragen würde. «Heute sind 38 Prozent der Bevölkerung im Kanton Bern konfessionslos oder gehören einer Religionsgemeinschaft an, die nicht als Landeskirche anerkannt ist.» Der Regierungsrat empfiehlt, die Motion als Postulat anzunehmen. Dieses ist weniger verpflichtend als eine Motion und beauftragt den Regierungsrat zu prüfen, ob es überhaupt eine Gesetzesänderung oder eine andere Massnahme braucht.


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