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«Das ist wie eine Knetmasse für die Zukunft»

Der Bahnhof Bern soll grüner werden – und weniger verkehrslastig. Stadtplanerin Jeanette Beck erklärt, wie sich das Gebiet entwickeln kann und warum der Baldachin vielleicht länger.

| Léonie Hagen | Politik

Jeannette Beck, als Stadtplanerin haben Sie vergangene Woche mit dem «Zielbild Stadtraum Bahnhof» die Visionen des Gemeinderats für den Berner Bahnhof vorgestellt. Wie sieht der Bahnhof der Zukunft aus?

Die Testplanungen haben uns gezeigt, dass der ganze Raum rund um den Bahnhof grosse Potenziale hat. Er soll grüner werden, vernetzter, durchlässiger und attraktiver. Der Bahnhof soll damit auch freundlicher für den Fussverkehr werden. Heute gehen täglich 200‘000 Personen durch dieses Gebiet; das sind viel mehr, als in der Stadt wohnen. Diese Menschen sind oft zu Fuss unterwegs, und dort sehen wir noch viel Bedarf. Gerade in den unbebauten Flächen, also auf den Strassen, wollen wir insgesamt eine bessere Aufenthaltsqualität.

Der Bahnhof ist vor allem ein Durchgangsort. Warum braucht es hier Aufenthaltsqualität?

Der Bahnhof ist für viele die erste Adresse in Bern, einer der wichtigsten öffentlichen Räume der Stadt. Hier kommt man an – und hier wartet man auch: Auf den Bus, das Tram, auf andere Leute, man isst nach dem Einkauf ein Sandwich, man trinkt vielleicht einen Kaffee. Es braucht hier nicht nur eine Hochleistungsmaschine der Durchwegung, sondern eben auch Plätze, auf denen man sich gerne aufhält.

Das Zielbild soll solche Plätze aufzeigen. Obwohl der Gemeinderat betont, dass es nur Möglichkeiten seien, wirken die Ideen schon sehr konkret. Wie viel Spielraum bleibt noch für andere Ansätze?

Wir haben keinen Anspruch darauf, mit diesem Zielbild alle Details zu klären. Aber wir haben jetzt ein Bild davon, wo wir als Stadt mit dem Raum hinwollen – breit abgestützt und konsolidiert. Das gibt uns die politische Rückendeckung, um mit diesen Ideen in einen «Reality Check» mit unseren Partnerinnen und Partnern zu gehen.

Das heisst? 

Die Ideen sind überhaupt nicht sakrosankt. Nehmen wir den Baldachin: Ob der wegkommt oder nicht, ist offen. Aber wenn er erneuert werden muss, dann leitet uns das Zielbild dazu an, detailliert zu prüfen, ob und wie er ersetzt werden sollte oder könnte. Es ist eher eine Messlatte für uns selbst, über einen sehr langen Zeitraum. Es gibt uns ein Gesamtbild, damit wir eben nicht nur an einzelnen Bausteinen im Gebiet herumdrehen und das grosse Ganze aus den Augen verlieren.

Zu diesem Gesamtbild gehört auch der Verkehr – gerade der motorisierte Individualverkehr soll noch einmal deutlich reduziert werden. Wie geht das in einer wachsenden Stadt?

Wir haben die Verkehrsgestaltung über die Regionalkonferenz Bern-Mittelland abgeglichen: Theoretisch wäre sogar eine totale Sperre für den motorisierten Verkehr möglich. Das würde aber andere Punkte im Verkehrssystem weiter belasten. Deshalb bleibt der Verkehr, aber er wird weniger. Es ist vor allem eine Frage der Lenkung: Wenn ich von West nach Ost muss, muss ich dann wirklich durch dieses Nadelöhr im Bahnhofsgebiet fahren – oder kann ich diesen Punkt entlasten und umfahren?

Bleiben wir beim Verkehr: Die Arbeitsgruppe «Planung Städtebau Mobilität» kritisiert, die Debatte rund um die Tramlinienführung sei komplett ausgeklammert worden. Stimmt das?

Nein, im Gegenteil. Unsere Teams haben alle möglichen Varianten getestet. Sie haben aber keine Entscheidung darüber getroffen, welche jetzt umgesetzt werden soll. Das ist gerade die Grundidee einer Testplanung: Dass man verschiedene Szenarien modelliert, wie in einem Labor. Also haben unsere Teams auch einmal vier Tramspuren auf den Bubenbergplatz gelegt und geschaut, was das mit dem Raum macht. Da haben wir das Pferd in einem gewissen Sinn von hinten aufgezäumt.

Wie meinen Sie das?

Normalerweise richtet man sich in der Raumplanung nach dem Verkehr. Das wollten wir dieses Mal umkehren. Wir haben vom Raum her gedacht. Sprich: Welche Qualitäten sollte dieser Raum haben? Und danach haben wir uns angesehen, wie wir den Verkehr so planen können, dass er eben diese Qualitäten erhält.

Sollte doch noch eine Tramlinie über den Bubenbergplatz kommen, wie BERNMOBIL sie fordert, sieht das ganze Zielbild für den Bahnhof danach komplett anders aus.

Das Zielbild schreibt uns nichts vor. Es zeigt vielmehr Zielkonflikte auf. Wenn wir ein qualitativ gutes Raumbild auf dem Bubenbergplatz haben wollen, dann muss der Autoverkehr weiter reduziert werden. Denn sonst hat es keinen Platz für die breite Mitte – man muss sich für eines von beidem entscheiden. Der Gemeinderat hat hier nun einen ersten Entscheid gefällt und der «breiten Mitte» den Vorrang gegenüber der zweiten Tramachse gegeben. Auch das werden wir im Verlauf der Planungen noch einmal überprüfen.

Das Zielbild beerbt den Masterplan aus den 1990er-Jahren. Vom letzten Plan wurde nur wenig umgesetzt. Was ist heute anders?

Einerseits setzen wir andere Schwerpunkte. Die Klimaanpassung war zum Beispiel vor 25 Jahren kein Thema, heute haben wir sie als eine der Kernanforderungen in die Planung aufgenommen. Andererseits waren viele bauliche Massnahmen aus dem Masterplan nicht umsetzbar, rein statisch, aber auch wegen der Leistungssteigerung der SBB, die eigene Massnahmen benötigte.

Vergangene Woche hiess es, man wolle mit diesem Zielbild kleinere Brötchen backen als damals. Gleichzeitig wird ein komplett neuer Bahnhofsplatz gezeichnet. Von verschiedenen Seiten heisst es, das Bild sei unrealistisch bis «illusorisch». Ist es wirklich realistischer als der letzte Masterplan?

Zumindest teilweise. Nur schon, weil einige Projekte jetzt bevorstehen. Wir werden diese Ideen im Zuge der Neugestaltung des Bollwerks ein erstes Mal einbringen. Das wird ein erster Test im „Reallabor“: Da werden wir herausfinden, wie gross die Schnittmenge zwischen dem Zielbild und der Realität ist; wie alles aufeinander reagiert. Andernorts sind die Zeithorizonte deutlich grösser. Beim Bahnhofsgebäude etwa geht es darum, jetzt schon Prozesse anzudenken, die erst in zehn, zwanzig oder dreissig Jahren beginnen. Da gibt es natürlich viel mehr Ungewissheiten.

Die SBB sagt ihrerseits, sie sehe keinen Anpassungsbedarf am bisherigen Gebäude. Damit fiele die Neugestaltung des Bahnhofs deutlich bescheidener aus.

Die Äusserung der SBB bezieht sich auf die Gegenwart. Wir denken hingegen weit voraus. Selbst wenn das Gebäude aber stehen bliebe, wäre das kein Weltuntergang. Das Zielbild ist eben eine Orientierung, nicht mehr, nicht weniger. Darum wird es auch im dynamischeren Richtplan festgeschrieben und nicht in einem Nutzungsplan, in dem jedes Schräubchen buchstäblich definiert wäre. Das Bild ist eher wie eine Knetmasse, mit der wir arbeiten können und müssen. Wir werden sie mit jedem konkreten Projekt auf den Boden der Realität bringen. Auch das gehört dazu – das ist unser «daily business», unser Job. Damit am Ende alle profitieren. 


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