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Rudolf Joder: Keine Vermischung von Parteipolitik und Justiz

Werden mit einem Parteiwechsel kurz nach der Wahl die Rechte der Wähler und Wählerinnen verletzt? «Anzeiger»-Kolumnist Rudolf Joder findet: nein. Für ihn ist die Freiheit der Parlamentsmitglieder wichtiger.

| Rudolf Joder | Politik
Rudolf Joder. Foto: zvg
Rudolf Joder. Foto: zvg

Elf Tage nach ihrer Wiederwahl ist die Zürcher Kantonsrätin Isabel Garcia im Februar 2023 von der GLP zur FDP übergetreten. Gegen diesen Parteiwechsel haben ein Jus-Student und fünf GLP-Mitglieder beim Bundes­gericht Beschwerde eingereicht. Sie machten geltend, dass die politischen Rechte der Wählerinnen und Wähler verletzt worden seien und die Wahl von Isabel Garcia ungültig sei. Im Rahmen einer öffentlichen Urteilsberatung stimmte das Bundesgericht am 22. Mai dieses Jahres der Beschwerde mit 3:2 zu. Durch diesen Entscheid wird das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich beauftragt, eine mutmassliche Täuschungsabsicht von Isabel Garcia zu untersuchen. Bestätigt sich die Täuschung, muss gemäss Bundesgericht die Wahl von Isabel Garcia aufgehoben werden, weil die Wahlfreiheit der Wählerinnen und Wähler verletzt worden ist.

Dieses Urteil ist aus verschiedenen Gründen falsch. In der öffentlichen Debatte am Bundesgericht ging es um die Frage, ob bei einer Proporz- und damit Parteienwahl das verfassungsmässige Instruktionsverbot als Recht der Parlamentarier auf eine freie Ausübung des politischen Mandats Vorrang habe vor dem Recht der Wählerinnen und Wähler auf eine freie Willensbildung und Wahl einer Partei. Oder kurz: Ist die freie Entscheidung der Parlamentarier wichtiger als die integrale Umsetzung der politischen Programme der Parteien? Eine Analyse ergibt, dass sich diese Fragen in der politischen Praxis gar nicht stellen.

Parteiprogramme sind nie in Stein gemeisselt. Sie können sich während einer Wahlperiode verändern, weil zum Beispiel Grossereignisse wie der Ukraine-Krieg die Sicherheitspolitik radikal umkrempeln, Kantonalsektionen von der nationalen Parteilinie abweichen, eine neue Parteileitung andere Akzente setzt, politische Bündnisse eingegangen werden oder eine Partei sich an der Regierung beteiligt bzw. in die Opposition geht. Die Stimme für eine Partei garantiert nicht die konsequente und ganzheitliche Umsetzung des Parteiprogramms. Das Gleiche gilt sinngemäss für die auf den Parteilisten gewählten Politikerinnen und Politiker. Kein selbstständig denkender Parlamentarier politisiert immer zu hundert Prozent auf Parteilinie.

Mit diesem Urteil des Bundes­gerichts wird die Position der Parteien einseitig gestärkt. Obschon der Fraktionszwang verpönt ist, nimmt der Druck der Fraktionsleitung auf den einzelnen Parlamentarier zu. Wer nicht pariert, wird in seinem Karriereverlauf geschwächt und behindert. Dafür gibt es im politischen Alltag viele Beispiele. Die Folge ist, dass sich die Zahl der Abweichler, die oft Brückenbauer sind, reduziert. Dies führt zu mehr Polarisierung, Blockaden, politischem Stillstand und ungelösten Problemen zum Nachteil aller.

Der Befund ist klar. Mit Gerichts­urteilen können Vorgänge der Parteipolitik nicht beeinflusst werden. Parteipolitische Probleme sind nicht durch Richter, sondern anlässlich der nächsten Wahlen mit dem Stimmzettel der Bürgerinnen und Bürger zu klären. Das ist der Kerngehalt unseres Systems. Das Urteil des Bundesgerichts i. S. Isabel Garcia ist ein Fehlentscheid.

Es muss im Interesse der Demokratie korrigiert werden.

Zur Person: Rudolf Joder ist Dr. jur. Fürsprecher und präsidiert den Schweizerischen Verband für Seniorenfragen. Er war Nationalrat, Grossrat, Präsident der SVP Kanton Bern und Gemeindepräsident von Belp.


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