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Kunstmuseum für alle oder Villa für wenige

Die Kosten für die Villa Morillon und das Kunstmuseum Bern verdeutlichen den Wandel des Kunstzugangs in den letzten 200 Jahren.

| Christoph Reichenau | Politik
Foto: Wikipedia
Foto: Wikipedia

35 Millionen Franken soll 1831 die Errichtung der Villa Morillon in Wabern, an der Stadtgrenze zu Bern, gekostet haben. Eine riesige Summe «bei aller Verzerrung, die mit einem solchen Vergleich einhergeht», wie Jürg Schweizer, der ehemalige kantonale Denkmalpfleger, im eben erschienenen Kunstführer schreibt. 35 Millionen für das zuerst nur im Sommer bewohnte Privathaus einer Patrizierfamilie. Und dies unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Aushub von Sträflingen bewerkstelligt worden ist.

Auf 147 Millionen +/-25 Prozent, also maximal 184 Millionen, geschätzt werden neuerdings die Sanierung des Stettlerbaus und des Gebäudes Hodlerstrasse 6 sowie die Errichtung eines Neubaus an der Stelle des Atelier-5-Trakts für das Kunstmuseum Bern. 

Man kann diese Zahlen in ein Verhältnis setzen. Zuerst rein rechnerisch, dann kosten die Arbeiten am KMB rund das Fünffache derjenigen für die Villa Morillon. Sodann in Bezug auf die Nutzung: Ein paar Mitgliedern der Besitzerfamilie sowie vielleicht einigen Dutzend oder hundert geladenen Gästen im Jahr stehen 2023 im KMB rund 100 000 Besucherinnen und Besuchern gegenüber, von denen die meisten Eintritt bezahlen.

Oder inhaltlich: In der Villa Morillon genossen die Gäste der Oberschicht unter sich die Sommerfrische in einem luxuriösen Ambiente mit Täfer, Parkett, eigens in Paris hergestellten Möbeln und wunderbaren Tapisserien und Porträts. Möglicherweise auch Musik, Literatur, Kunst. Im Kunstmuseum betrachtet man Kunstwerke, lernt Sichtweisen kennen, Kunst über hunderte von Jahren. Ein Bildungsort grundsätzlich für alle, wenn auch primär genutzt von einer Minderheit, es sei denn durch Kurse und Schulen.

Woher kommt das Geld? Der Kanton Bern subventioniert das Kunstmuseum aus Steuermitteln. Die Besuchenden zahlen Eintritt. Der Mäzen Hansjörg Wyss machte sein Vermögen mit Gesundheitsprodukten. Kurz: Das Geld für das KMB kommt von uns allen. Bei der Villa Morillon wissen wir es nicht. Doch natürlich denkt man an Vermögen aus Handel mit kolonialem Hintergrund oder aus dem Söldnerwesen (bernische Regimenter in fremden Diensten).

Und so weiter und so fort. Jeder Vergleich hinkt. Jeder hat einen wahren Kern. Das Ancien Régime ist vorbei, die Lebensverhältnisse und die politische Organisation Berns haben sich in fast zweihundert Jahren grundlegend verändert. Die Entwicklung der Demokratie hat die Unterschiede zwischen arm und reich nicht beseitigt. Doch kam vor zweihundert Jahren ausschliesslich eine schmale Schicht Reicher in Berührung mit Kunst, ist diese heute grundsätzlich allen zugänglich. Das ist ein Fortschritt. Der darf etwas kosten. Das neue KMB ist unter allen Berechnungen und in demokratischer Sicht weit günstiger als die Villa Morillon. Das muss uns etwas wert sein. Und es ist, 200 Jahre nach Bezug der Villa Morillon, Anlass zu überlegen, wie im KMB die Hemmschwelle – finanziell und sozial – gesenkt werden kann, sodass die Kunst wirklich für ALLE bereichernd und bildend werden kann. 

Mein Fazit: Wenn die ehemals Patrizierinnen und Patriziern vorbehaltene Villa jetzt umfassend restauriert und bei Veranstaltungen einem allgemeinen Publikum geöffnet wird, muss dies umso mehr für das KMB gelten. Erfreulich, dass der Regierungsrat den Kantonsanteil nicht aus dem Investitionsplan gestrichen hat. Das ist auch ein Bekenntnis zur Demokratisierung des Zugangs zur Kunst. 


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