Skip to main content

-


Anzeige

Anzeige


Aus der Aare ins rumänische Eis

Trotz eisigen Wassertemperaturen wagen sich immer mehr Berner und Bernerinnen ins kalte Wasser der Aare. Nun erlangt das Winterbaden sogar
offizielle Anerkennung als Sportart mit der ersten Europameisterschaft Anfang Februar.

| Linda Pfanner | Sport
Lea Kusano beim Eisbaden.
Das Winterbaden ist für Kusano ein Ausgleich. Foto: Jannis A. Strauss

Wenn man im Winter der Aare entlangläuft, sieht man regelmässig, wie Schwimmende auch bei eisigen Temperaturen baden. Während der Pandemie wurde Winterbaden beliebter. Die wenigsten wissen aber, dass es nun auch als offizielle Sportart anerkannt ist. Anfang Februar fand die erste Eisschwimm-Europameisterschaft in Rumänien statt. 

An der EM teilgenommen hat auch Lea Kusano. Ihre Leidenschaft reicht schon weiter zurück: Vor neun Jahren suchte die Bernerin in einer schwierigen Lebensphase nach mehr Struktur.Da stiess sie auf den Artikel «Die Stille» von Christof Gertsch, der im «Magazin» erschien. Der Artikel über eine finnische Eistaucherin weckte Kusanos Interesse. «Das war mein Kickoff, ich wollte das auch probieren», sagt Kusano. Damals war das Winterbaden noch selten anzutreffen in Bern. 

Für Kusano war das der Einstieg ins Eisschwimmen. Auch wenn die Aare nicht immer kalt genug ist. Denn laut dem internationalen Eisschwimmverband IISA gilt erst alles unter fünf Grad Wassertemperatur als Eisschwimmen. 

Obwohl das Winterbaden erst seit Kurzem in der Schweiz anerkannt ist, gibt es schon seit rund 15 Jahren einen internationalen Verband. François Bonnici, Mitglied des Schweizer IISA-Vorstands, fördert den Schweizer Verband auf internationaler Ebene. Er freut sich über die zunehmende Anerkennung: «Es ist schön, dass die Leute erkennen, dass man diesen Sport auch wettbewerbsorientiert betreiben kann», sagt Bonnici.

EM in Rumänien

Kusano hat Anfang Februar an der ersten Europameisterschaft teilgenommen. Die Strecken bei der Europameisterschaft reichen von 50 bis 1000 Meter. 

Die Athletinnen und Athleten treten an der EM jeweils in Startblöcken an. Übergeordnet gibt es die Kategorien Männer, Frauen und Disabled. Man wird aufgerufen, hat kurz Zeit, sich auszuziehen, und muss dann direkt ins Wasser. Lange an die kalten Temperaturen gewöhnen kann man sich nicht. Man sei nervös und voller Adrenalin, deshalb spüre man die Kälte gar nicht. «Die Atmung bleibt total stabil. Einfach rein, zack und da», sagt Kusano. 

Kusano ist für 50 und 100 Meter angetreten. Angemeldet war sie auch für 250 Meter, entschied sich jedoch gegen die Distanz, da sie sich nicht genug fit für längere Strecken fühlte. Trotz viel Adrenalin bleibt Kusano vorsichtig, denn Eisschwimmen in der Schweiz zu trainieren, ist gar nicht so einfach. Es gebe keine grosse Winterschwimmkultur, da Aussenschwimmbäder im Winter geschlossen haben. 

Es bleiben nur die öffentlichen Gewässer. «Das bedeutet in Bern die Aare», sagt Kusano. Dort kann man aber nur bei niedrigem Wasserstand gegen den Strom schwimmen. Bei kleinen Distanzen reiche das Trainieren in dieser Form aus. Ab 500 Meter sollte man eine Kaltwasser-Trainings-Option haben. 

Für Kusano bestand die Vorbereitung auf die EM deshalb aus Schwimmen, Krafttraining und Kälteexposi­tion. Erst bei der Europameisterschaft konnte sie die drei Elemente kombinieren. 

Obwohl sie schon länger im Winter schwimmt, hat Kusano ihr Training mit der Pandemie intensiviert. Sie empfand die erste Covid-Phase als «extrem streng» und suchte nach mehr Stabilität und einem sicheren Rahmen, um Leute zu treffen. Deshalb gründete sie die Winterschwimmgruppe, teilte dies auf den sozialen Medien. Darauf bildete sich eine fixe Gruppe, die immer noch existiert. Jeden Freitagmittag trifft sich die Gruppe zum Eisbaden. 

Im Frühling geht sie graduell mit der Temperatur mit und das Baden wird zum normalen Sommerschwimmen. Dies hilft laut Kusano, im Herbst die Motivation für den kommenden Winter zu steigern und sich langsam an das abkühlende Wasser zu gewöhnen. 

Vorteile für Physis und Psyche 

Das Winterschwimmen bildet einen Ausgleich zum stressigen Alltag. Wenn man in das eiskalte Wasser eintaucht, reagiert der Körper mit einem Schockzustand. Das sei «plötzlicher, ultimativer Stress», sagt Kusano. Die entsprechenden Stresshormone würden ausgeschüttet und man beginne zu hyperventilieren. Das sei dieselbe Reaktion wie auf Stress im Alltag. 

Anders als bei Alltagsstress muss man beim Eisbaden aktiv etwas dagegen unternehmen. Das Einatmen passiere automatisch, die Schwierigkeit liege im langsamen und kontrollierten Ausatmen. «Man hat den Kopf leer und ist fokussiert auf das Hier und Jetzt», sagt Kusano. Längerfristig lerne man daraus für den Umgang mit Stress im Alltag. Auch gemäss Bonnici ist es nicht nur eine verstärkte Resilienz, sondern auch der Zusammenhalt, welcher für viele Eisbadende psychische Vorteile bringe. 

Wie für Kusano ist der Sport für viele genau das: ein Ausgleich. Er wird von Personen einer grossen Altersbandbreite mit unterschiedlichen Intensitätsstufen ausgeübt. Die älteste Teilnehmerin an der EM war 75 Jahre alt, die jüngste 15. Unter den Männern seien oft ehemalige Olympia-Schwimmer, die nach ihrem Karrierehöhepunkt zum Eisschwimmen gewechselt hätten. Diese Tendenz sei bei den Frauen noch weniger ausgeprägt: «Ich bin keine Eliteschwimmerin, ich bin Hobbyschwimmerin», sagt Kusano. 

Das sei es aber auch, was sie an der Sportart reize. Die Schwimmenden sind eine bunt gemischte Gruppe. Da das Interesse am Eisschwimmen in der Schweiz noch kleiner ist, konnte man sich bei der EM durch eine Anmeldung qualifizieren. «Wir können an die EM ohne Selektion in unserem Alter, das muss man doch machen», sagt Kusano.

Neben dem Spass am Wettkampf bringt das Eisbaden auch physische Veränderungen mit sich. Für Kusano liegt der grösste Vorteil in ihrem Kälteempfinden. «Früher war ich ein grosser ‹Gfröörli›», sagt Kusano. Heute sei sie das nicht mehr: «Das macht den Winter erträglicher.»

Trotz der physischen Vorteile darf man sich vom Eisbaden aber nicht zu viel versprechen. Es existieren viele Mythen rund um das Eisschwimmen, wie das Heilen von unterschiedlichen Krankheiten. Das sei aber nicht bewiesen, sagt Bonnici: «Ohne Beweise sollte man das auch nicht glauben.» Das Ziel des Eisschwimmverbandes sei es, das Winterbaden als Sport zu fördern, unabhängig von versprochenen Hei­lungen. 

Olympische Ziele

Die nächste Etappe sei deshalb die Winterolympiade 2030. Bis dahin soll der Sport olympisch anerkannt werden. Dafür braucht es insbesondere hohe Sicherheitsstandards. Denn Herzprobleme und Unterkühlung sorgen für Risiken beim Eisschwimmen. Laut Kusano sei es am wichtigsten, sich nach dem Baden schnell abzutrocknen und das nasse Badekleid auszuziehen. 

Die Teilnehmenden müssen sich für jeden Event einer medizinischen Untersuchung unterziehen, die nicht älter als sechs Monate alt sein darf. Zudem werden die Schwimmenden während und nach dem Wettkampf beobachtet. 

Kusano will sich sportlich noch nicht auf ein Ziel festlegen. Sie mache es gerne: «Ich werde sehen, wo es mich hinführt – das ist das Schöne in meinem Alter.» In das Schwimmen an sich will sie trotzdem mehr investieren. Eines Tages vielleicht sogar in einem kalten Berner Aussenschwimmbecken – bis dahin aber vor allem in der Aare. 

 

Schweizer Resultate der Europameisterschaft 2024

 

  • Adrian Alejandro Witter: 50m Breaststroke (Bronze)
  • Bianca Vescovi: 50m Breaststroke (Bronze) / 100m Breaststroke (Silver) 

 

www.internationaliceswimming.com


Ihre Meinung interessiert uns!


Verwandte Artikel


«Im Optimalfall ein Buch lesen, realistischerweise den Wecker stellen»

Die Berner Hürdensprinterin Ditaji Kambundji begrüsst Tiere, Unterhaltungen führt sie mit ihnen aber nicht. Könnte sie in der Zeit reisen, wären das antike Griechenland und die ­olympischen Spiele ihr Ziel.

«Es braucht zwingend einen Ersatz für Benito»

YB soll noch im Winter einen Innenverteidiger kaufen, findet RGS-Kommentator Tim Wälterlin. Handlungsbedarf sieht er auch an der Seitenlinie.

Von Olympia zur Team-Mamá

Die Kubanerin Aniara Muñoz spielt Volleyball seit sie neun Jahre alt ist. Dies führte sie vom Olympiasieg bis zur 2. Liga beim VBC Gerlafingen.