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«Dann hat man keine Lust mehr aufzustehen»

Jürg Iseli, Präsident des Berner Bauernverbands, fordert ein Zusammenrücken von Konsumenten, Detailhändlern und Produzenten. So wie die Situation aktuell sei, könne es nicht weitergehen.

| Fabian Christl | Wirtschaft
Jürg Iseli. Foto: zvg
Jürg Iseli. Foto: zvg

Herr Iseli, Sie führen mit Ihrem Bruder in Zwieselberg einen Hof. Geht es Ihnen schlecht?

Das ist immer relativ. Im Vergleich zu anderen geht es unserem Hof nicht schlecht. Das hat vor allem damit zu tun, dass es ein sehr vielfältiger Betrieb ist, wir setzen nicht nur auf ein Standbein. Das hat einen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit des Betriebs.

Die Bauern protestieren im ganzen Land, und Sie haben sogar Strassenblockaden als Protestfor in den Raum gestellt. Man bekommt den Eindruck, dass Landwirte am Hungertuch nagen. Wie schlimm ist die Situation tatsächlich?

Wenn Bauern eine solche Bereitschaft haben, in dieser Form auf sich aufmerksam zu machen, ist der Leidensdruck gross. Laut der aktuellsten Einkommensstatistik liegt der durchschnittliche Stundenlohn bei knapp 17 Franken. Im Verhältnis zu anderen Branchen ist man deutlich unter­bezahlt. Wenn unsere Jungen auswärts arbeiten gingen, würden sie das Doppelte verdienen. Darum protestieren sie aktuell ja auch.

Der angegebene Stundenlohn basiert auf einer steueroptimierten Buchhaltung. Ausserdem haben Bauern in der Regel viel tiefere Lebenskosten, etwa weil sie keine Miete bezahlen müssen.

Die Bauern sind Unternehmer und haben die gleiche Aufzeichnungspflichten wie andere Unternehmer. Dazu sind sie Haus­eigentümer wie viele andere auch und müssen den Eigenmietwert versteuern. Das taugt nicht als Argument. Auch wenn die meisten genug zum Leben haben – um Geld für die Rentenvorsorge auf die Seite zu legen, reicht es häufig nicht.

Ist das so? Laut Avenir Suisse hat das Gesamteinkommen pro Hof zuletzt 110 000 Franken betragen.

Laut Bundesamt für Statistik sind es 55 000 Franken pro Jahr und Arbeitskraft. Das ist das Lohnniveau eines Lehrabgängers. Da muss man nicht darüber diskutieren, ob dies angemessen ist oder nicht.

Der Bund schüttet hohe Summen als Direktzahlungen aus. Wieso reicht es trotzdem nicht?

Mit den Direktzahlungen werden bestellte Leistungen für die Öffentlichkeit abgegolten. Und schauen Sie sich einmal die Produktionskosten an. Wir erhalten für einen Liter Milch, standardisiert, 60 Rappen. Die Produktionskosten des Liters liegen bei 90 Rappen, wenn man eine Vollkostenrechnung macht. Die 30 Rappen nimmt man von Direktzahlungen. Oder würden Sie arbeiten gehen, wenn Sie dabei Verluste einfahren?

Es gibt Bauern, die gut ver­dienen. Aber es gibt massive Einkommensunterschiede, etwa zwischen Berg- und Talbauern. Sollte man die Direktzahlungen umverteilen, oder am Giess­kannenprinzip festhalten?

Ich würde dem nicht Giesskannenprinzip sagen, es findet bereits seit der Revision im Jahr 2014 eine Umverteilung statt. Wenn man den Mittelland-Bauern jetzt noch mehr wegnimmt, kommt es nicht gut. Schauen Sie etwa die Beiträge für besonders tierfreundliche Stallhaltung an. Viele Bauern haben solche Ställe realisiert, und jetzt sollen die Beiträge dafür gekürzt werden. Die hohen Investitionskosten können so nicht amortisiert werden. Das betrifft vor allem das Mittelland. Und von den Geldern für Strukturverbesserung profitieren die Mittelland-Bauern auch nicht.

Die Hauptforderung der ­Schweizer Bauern sind höhere Preise. Wieso schaffen es die gefühlt allmächtigen Bauernverbände nicht, anständige Preise auszubedingen?

Es ist nicht der Bauernverband, der die Preise verhandelt, sondern die Produzentenorganisationen mit den Verarbeitern. Das ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Insgesamt würden wir uns wünschen, dass ein grösserer Teil des Verkaufspreises bei den Bauern landet und nicht die ganze Marge bei den Detailhändlern und Verarbeitern bleibt. Ausserdem würden die aktuellen Produzentenpreise nur leicht erhöht werden müssen, wenn wir genug Spielraum um zu wirtschaften hätten.

Wie meinen Sie das?

Nehmen wir die Kartoffel: Wenn sie von Schädlingen befallen sind, haben wir kaum mehr Möglichkeiten, wirk­same Schutzmittel anzuwenden. Den Ertragsausfall müssen wir trotzdem selbst finanzieren. Wenn wir die ganze Ernte einfahren könnten, würden fünf Prozent Preiserhöhung reichen. Wir fordern deshalb nicht nur höhere Preise, sondern Pflanzenschutzmittel, die unsere Kulturen auch schützen können, weniger Vorschriften, weniger Bürokratie und weniger Auflagen in Richtung Biodiversität. Es wird immer mehr Fläche entzogen, die wir nicht zum Produzieren nutzen können.

Man hat das Gefühl, die Bauern wollen beides: Einen geschützten Markt und unternehmerische Freiheit. Man sollte sich für eines entscheiden, oder nicht?

 Ich möchte unternehmerische Freiheit. Aber in der Schweiz kann man ohne Grenzschutz keine Landwirtschaft betreiben. Die Strukturkosten sind hier ganz anders. Wenn ich einen Handwerker beiziehen muss, kostet der das doppelte wie im grenznahen Ausland. Auch die Futtermittelpreise sind deutlich höher. Wir müssen deshalb auch Preise bekommen, die diesen Kosten Rechnung tragen. Ausserdem können ja auch die Bauern in Deutschland und Frankreich kaum noch existieren.

Wie sieht Ihre Vision für die Landwirtschaft aus? Wie sollte sie sich entwickeln?

Ich wünsche mir, dass alle etwas zusammenrücken: Konsumenten, Verarbeiter, Produzenten und Detailhändler. Wenn ein Produkt im Verkauf fünf Rappen teurer würde und die fünf Rappen auch beim Produzenten landeten, wäre die Situation schon eine ganz andere. Ausserdem wünsche ich mir mehr Wertschätzung für unsere Arbeit. Wenn man ständig hört, was man alles falsch macht und der Umwelt schadet und was weiss ich – dann hat man irgendeinmal keine Lust mehr, jeden Morgen aufzustehen, um die Schweiz mit Lebensmitteln zu versorgen.


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