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Es lohnt sich nicht, «wegen einer vergessenen Mayo» zu öffnen

Der Nationalrat will Dorfläden ermöglichen, auch sonntags zu öffnen. Doch besteht überhaupt Interesse? Der «Anzeiger» hat sich umgehört.

| Fabian Christl | Wirtschaft
Heidi Kunz, die Betreiberin des Dorfladen Allmendingen, würde ihren einzigen freien Tag ungern hergeben. Foto: Nik Egger
Heidi Kunz, die Betreiberin des Dorfladen Allmendingen, würde ihren einzigen freien Tag ungern hergeben. Foto: Nik Egger

Am Sonntagnachmittag noch schnell ein bisschen Gemüse oder ein Stück Fleisch einkaufen gehen: Für Stadtbewohnerinnen und -bewohner ist das längst Normalität. Entweder geht man am Bahnhof in einen Supermarkt oder man weicht auf einen Tankstellenshop in den Quartieren aus. 

Wer aber ausserhalb der Stadt wohnt, muss in der Regel deutlich längere Wege auf sich nehmen, wenn sich sonntags eine schmerzliche Lücke im Kühlschrank bemerkbar macht. Der Nationalrat möchte das ändern. Er hat eine Motion überwiesen, die es Dorfläden (jedoch nicht Supermärkten) erlaubt, auch am Sonntag offen zu halten. Der Ständerat muss das Vorhaben noch absegnen, damit es Wirkung entfaltet.

Der Wunsch nach flexibleren Öffnungszeiten ist nicht neu – und die Fronten sind klar: In Teilen der Bevölkerung ist die Nachfrage nach längeren Ladenöffnungszeiten vorhanden. Die Gewerkschaften wehren sich aber mit aller Macht dagegen, dass die ohnehin schon schlecht bezahlten Detailhandelsangestellten vermehrt auch sonntags arbeiten müssen. Doch wie sehen es die Geschäfte? Hätten gerade die kleinen Dorfläden überhaupt ein Interesse daran, auch sonntags zu öffnen? 

«Büezer» blieben aus

Für Heidi Kunz, Betreiberin des Dorfladen Allmendingen ist der Fall klar: «Das würde sich für mich gar nicht lohnen», sagt sie. Zu ihrer Kundschaft gehörten viele «Büezer» und Lastwagenfahrer, die am Wochenende gar nicht arbeiteten. Ausserdem führe sie kein frisches Brot im Angebot, was aber am Sonntag unverzichtbar wäre. Schliesslich handle es sich beim Sonntag auch um ihren einzig freien Tag. «Auf den würde ich ungern verzichten.»

Ähnlich tönt es bei Ladenleiterin Heidi Widmer vom Dorfladen Wahlendorf (Gemeinde Meikirch). Das Brot wäre zwar kein Problem, sagt sie. «Aber allein mit Brot machen wir zu wenig Umsatz, um das Personal zu bezahlen.» Da Wahlendorf nur wenig Einwohner hat und es kaum Durchgangsverkehr gibt, glaubt Widmer nicht, dass sich die Ausdehnung der Öffnungszeiten rentieren würde. Genossenschafter des Ladens haben zudem seit Dezember 2023 die Möglichkeit, ausserhalb der Öffnungszeiten selbstständig einzukaufen. «Bezahlen können Sie die Produkte via Twint oder später im Laden», sagt Widmer. Das Angebot sei gut angelaufen.

Einzig Anne Bernasconi, die Kommunikationsverantwortliche des Dorfladens Frauenkappelen, möchte nicht ausschliessen, dereinst von den potenziellen neuen Freiheiten Gebrauch zu machen. Doch auch bei ihr überwiegt die Skepsis. «Das Hauptproblem wäre, genügend Leute zu finden, die am Sonntag arbeiten würden», sagt sie. Der Dorfladen Frauenkappelen arbeitet mit vielen Freiwilligen, die sich ehrenamtlich engagieren. 

Geschäft läuft nicht schlecht

Ein weiterer Grund für die Zurückhaltung ist, dass es den Dorfläden derzeit gar nicht so schlecht geht. In Allmendingen und Frauenkappelen zeigt man sich jedenfalls zufrieden. Die Leute schätzen zunehmend die frischen, regionalen Produkte, die in den Dorfläden angeboten werden. Zudem ist der persönliche Austausch im Dorfladen intensiver als in den grossen Supermärkten. «Man kennt sich, man spricht miteinander – der Laden ist auch eine Anlaufstelle», sagt Heidi Kunz vom Dorfladen Allmendingen. 

Vom Laden als Treffpunkt spricht auch Bernasconi. Um das zu intensivieren hat die Betreibergenossenschaft im Dorfladen Frauenkappelen sogar ein Kaffee eingerichtet. Mit Events wie einem Public Viewing während der Europameisterschaften (Dorfladen Wahlendorf) oder einem Pflanzenmärit und einem Jassturnier (Dorfladen Frauenkappelen) sorgen die Betreiberinnen und Betreiber weiter dafür, dass ihr Laden auch eine soziale Funktion erfüllt. 

Glücksfall Pandemie

Einen Schub verlieh den Dorfläden schliesslich die Corona-Pandemie. «Ich habe Tag und Nacht gearbeitet», sagt Kunz. Sie hat mit ihrem Laden einen Lieferdienst auf die Beine gestellt. «Die Kinder aus dem Dorf haben die Sachen verteilt – das Angebot kam extrem gut an.»

Auch der Dorfladen Frauenkappelen, der erst 2020 von engagierten Gemeindebewohnerinnen und -bewohnern gegründet wurde, profitierte von der Pandemie. «Am Anfang dachten wir, dass sie uns schaden würde – doch vor allem dank unserem Lieferdienst haben wir viele neue Kunden gewonnen, wovon ein Teil geblieben ist», sagt Bernasconi.

Den Dorfladen Wahlendorf würde es heute ohne Pandemie vielleicht gar nicht mehr geben, wie Widmer ausführt. «Wir konnten die Verluste der Vorjahre mit den höheren Einnahmen wieder ausgleichen.» Leider seien die Umsätze danach rasch wieder zurückgegangen. Anders als in Frauenkappelen und Allmendingen ist man in Wahlendorf mit den Finanzen «am Kämpfen». 

Eine neue Pandemie wünschen sich die Dorfladenbetreiberinnen natürlich trotzdem nicht. Dafür aber, dass die Leute ihr Konsumverhalten überdenken. Viele zögen die grossen Detailhändler und die Discounter wegen den günstigeren Preisen vor, sagt Widmer. «Zu uns kommen sie dann die Mayonnaise kaufen, die sie vergessen haben.» Allerdings sei der Dorfladen nicht unbedingt teurer, jedenfalls wenn man alles miteinberechne. «Wenn man an den Weg denkt, und an all die Produkte, die man wegen Aktionen kauft und dann doch wieder wegwirft, sind die grossen Detailhändler am Ende gar nicht günstiger.»

Klar ist: Ohne treue Kundschaft kann kein Dorfladen langfristig überleben. Aber ohne Laden im Dorf – darin sind sich alle Befragten einig – wäre das Gemeindeleben ärmer. 

 

Stadt Bern: Es ist ein grosses Bedürfnis unserer Gäste

 

Die Stadt Bern wäre von den geplanten neuen Freiheiten für Dorfläden kaum betroffen. Dafür ist eine andere Vorlage in Arbeit, die den Geschäften in
der Stadt Bern mehr Freiheiten verschaffen soll. Konkret ist Bundesrat Guy ­Parmelin (SVP) dabei, eine Verordnung zum Arbeitsgesetz zu überarbeiten. So soll ermöglicht werden, dass in touristischen Quartieren der grösseren Städte generell mehr Geschäfte sonntags geöffnet haben dürfen.

«Wir würden eine solche Änderung begrüssen», sagt Reto Nause (Mitte), der für Tourismus zuständige Gemeinderat der Stadt Bern, auf Anfrage. Es sei ein grosses Bedürfnis der Gäste, dass sie auch am Sonntag einkaufen könnten. Für Nause ist aber klar, dass nur die Innenstadt dafür infrage käme, konkret das ­Gebiet zwischen Bahnhof und Bärengraben. In den restlichen Quartieren ­reiche die aktuelle Regelung aus.

Ob es zu einer Änderung kommt, ist noch offen. In der Vernehmlassung kam es zu kritischen Rückmeldungen vor allen von linker Seite. Der Städteverband wünschte sich zudem, dass nicht nur Städte mit mehr als 60 000 Einwohnerinnen und Einwohnern von den neuen Möglichkeiten profitieren können. 

 


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