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«Cargo sous terrain» soll auch in Bern machbar sein. Ein weiterer Schritt für das Megaprojekt, das trotz seiner Dimensionen wenig diskutiert wird.
Ein unterirdisches, voll automatisiertes Netz für den Gütertransport, einmal quer durch die Schweiz: Was nach einem futuristischen Traum klingt, soll mit «Cargo sous terrain» in den nächsten 20 Jahren Realität werden. Das Tunnelnetz soll machbar sein – auch im Kanton Bern. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, welche «Cargo sous terrain» und der Kanton vergangene Woche veröffentlicht haben.
Hier sollen neben der geplanten Erweiterung in die Stadt Bern auch zusätzliche Teilstrecken nach Thun, Lyss und Biel technisch und wirtschaftlich machbar sein. Diese Strecken waren ursprünglich von «Cargo sous terrain» nicht vorgesehen. Das Kantonsparlament hatte aber gefordert, dass auch diese Erweiterungen geprüft werden sollen. Insgesamt wurden deshalb vier Streckenvarianten geprüft (siehe Grafik). Patrik Aellig, Mediensprecher von «Cargo sous terrain», freut sich über die Ergebnisse. Die Studie zeige, dass nicht nur für die Grundidee, sondern auch für Erweiterungen eine Nachfrage bestehe.
Ein drittes Verkehrsnetz durch die Schweiz
Der Grund für diese Nachfrage ist schon länger bekannt: Der Güterverkehr wird mit dem Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum weiter zunehmen. Das Netz ist schon heute stark ausgelastet. Entsprechend steigt der Druck auf den Ausbau der Autobahnen und des Schienennetzes, um eine Überlastung rechtzeitig zu verhindern. Die Zeit wird knapp – und vor allem der Platz.
Hier setzt «Cargo sous terrain» an. Es soll ein neues, drittes Verkehrsnetz schaffen, um die anderen beiden Systeme zu entlasten. Geplant ist ein rund 500 Kilometer langes Tunnelnetz von St. Gallen bis Genf. Die Tunnels liegen 20 bis 40 Meter unter dem Boden. Darin sollen kleine, unbemannte Fahrzeuge mit Tempo 30 durchgehend zirkulieren. An die Oberfläche kommen sie nur an ausgewählten Knotenpunkten, sogenannten «Hubs». Von dort aus sollen die Güter feinverteilt werden; insbesondere in den grossen Schweizer Städten.
Damit will «Cargo sous terrain» bis zu 40 Prozent des heutigen Schwerverkehrs unter den Boden verlegen. Damit bleibt mehr Kapazität für den Personenverkehr, so der Plan. Das Ganze soll zudem nachhaltiger sein als die bisherigen Transportwege: Die Fahrzeuge würden vollständig mit erneuerbarem Strom betrieben, sie seien effizienter und wiesen eine deutlich tiefere Umwelt- und Klimabelastung als der Strassentransport aus, so die Verantwortlichen.
Ambitionierte Pläne – und keine Kosten für den Staat
Das Projekt soll insgesamt 30 bis 35 Milliarden Franken kosten. Das ist gleich viel, wie der Bund jeweils für den Ausbau der Autobahnen und des Schienennetzes vorsieht. Auch der Zeitplan ist ambitioniert. In zwei Jahren will «Cargo sous terrain» mit dem Bau des ersten Teilstücks zwischen Härkingen (SO) und Zürich beginnen. Bis 2045 soll das ganze Netz von Genf bis St. Gallen in Betrieb gehen.
Trotzdem spricht kaum jemand über das Projekt. Denn: «Cargo sous terrain» wird nicht staatlich finanziert, sondern von einer Firma unter gleichem Namen vorangetrieben. Das Projekt soll vollständig privat finanziert werden.
«Das wäre für uns Städte eine enorme Entlastung», sagt etwa Alec von Graffenried (GFL). «Ansonsten fielen enorme Investitionen an, um das Verkehrsaufkommen der nächsten Jahrzehnte aufzufangen.» Der Berner Stadtpräsident ist seit 2020 Teil des Unterstützungskomitees für «Cargo sous terrain». Er ist in illustrer Gesellschaft: Mit Nationalräten von Roger Nordmann (SP) bis Mike Egger (SVP) und Aktionären von der Post über Transportunternehmen und Banken bis hin zur Swisscom scheint das Projekt alle Parteien und Branchen hinter sich zu vereinen.
Hub-Standorte in Wankdorf oder Ausserholligen?
Obwohl nach wie vor offene Fragen bleiben. Zum Beispiel jene nach dem Platz für die «Hubs» an der Oberfläche. Im Kanton Bern verortet die Studie etwa Potenzial für Standorte in Wankdorf oder Ausserholligen. Das seien in der Stadt sicher die sinnvollsten Knotenpunkte für die Weiterverteilung, sagt Alec von Graffenried dazu.
Doch beide Zonen sind kantonale Entwicklungsschwerpunkte, die in den nächsten Jahrzehnten stark verdichtet und neu bebaut werden sollen. Der Platz ist begrenzt – und begehrt. Ob er für solche «Hubs» noch reiche, lasse sich derzeit noch nicht sagen, so von Graffenried: «Wir wissen jetzt schon kaum, wie wir die vielen Baustellen in diesen Gebieten aneinander vorbeibringen.» Konkrete Standortvorschläge gebe es aktuell noch nicht, man stehe aber in regem Austausch mit den Projektverantwortlichen.
Dazu kommt die Frage nach dem Geld. Als privat finanziertes Projekt mit massiven Investitionssummen muss «Cargo sous terrain» am Ende genug abwerfen, damit es sich für die privaten Investoren auch lohnt. Wichtig dafür ist die Feinverteilung. «Cargo sous terrain» will den gesamten Transport von der Fabrik bis zur Endkundin aus einer Hand anbieten. Darin dürfte ein wichtiger Teil des Ertrags liegen.
Doch während das Tunnelsystem klar bei «Cargo sous terrain» liegt, ist die Situation für die Feinverteilung längst nicht so eindeutig. In diesem Bereich sind auch andere Transportunternehmen tätig; ob und wie diese mit den neuen Anbietern zusammenarbeiten wollen, ist noch offen.
Auch für Alec von Graffenried ist klar: Die Feinverteilung in den Städten müsse sowieso überdacht werden – mit oder ohne Tunnelsystem. «Cargo sous terrain ist für uns eine Option, aber längst nicht die einzige», sagt er.
«Das Risiko ist es wert»
Bei «Cargo sous terrain» ist man sich dagegen sicher, dass die Rechnung aufgeht. Langfristig werde das Projekt marktübliche Renditen erzielen wie vergleichbare private Infrastrukturinvestitionen, sagt Patrik Aellig. Zudem geschehe die Finanzierung in Etappen: «Mit jeder weiteren Etappe steigen zwar die Summen deutlich an, aber auch die Sicherheit, dass das Projekt tatsächlich so umgesetzt wird wie geplant.» Bis zum Baubeginn 2026 sind Investitionen von rund 140 Millionen Franken gesichert. Man sei bereits jetzt im Gespräch mit Investoren für die Phase nach 2026 und zuversichtlich, dass sich das Projekt finanzieren lasse.
Sollte es doch nicht reichen, müsste der Staat enorm investieren, um eine Überlastung der übrigen Verkehrsnetze zu verhindern. Das Risiko sei es aber wert, sagt Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP). Die Auslagerung des Projekts an Private mache alles unbürokratischer, effizienter, schneller: «Einfach gäbiger.» Schliesslich könne daraus immer noch ein halbstaatliches Unternehmen entstehen: «Wie bei den Eisenbahnpionieren auch.»
Der Bund selbst schliesst Subventionen zwar explizit aus. Doch in den Machbarkeitsstudien der Kantone St. Gallen und Bern steht dazu: «Je nach Streckenvariante sind mögliche Modelle zur Mitfinanzierung (…) mit dem Kanton zu prüfen.»
Die Klausel ziele nicht auf Subventionen ab, sagt Patrik Aellig dazu: «Es kann aber sein, dass die öffentliche Hand eine Streckenführung wünscht, die sich nicht wirtschaftlich betreiben liesse.» In diesem Fall werde man eine öffentliche Beteiligung in Erwägung ziehen müssen, weil eine rein private Finanzierung nicht gerechtfertigt sei.
So sind die Teilstrecken nach Thun und Biel, die vom Parlament zur Prüfung vorgeschlagen wurden, gemäss Studie technisch und wirtschaftlich tragbar. Die ebenfalls vorgeschlagene Verlängerung nach Spiez hingegen nicht. Die Kosten für die Verlängerung überstiegen den Nutzen durch die geringe zusätzliche Nachfrage, heisst es in der Studie. Sollte der Kanton in diesem Fall doch einen Streckenabschnitt wünschen, so müsste er vermutlich dafür zahlen.
Vorerst will man sich bei «Cargo sous terrain» aber auf das erste Teilstück zwischen Härkingen und Zürich beschränken. Es wird die Feuerprobe: Nur wenn der Bau dieses Stücks gelingt, stellen sich die Fragen in Bern tatsächlich.
Nach langer Planung: erstes Teilstück in Aussicht
Nach über zehn Jahren der Planung hat der Bund im März den Sachplan für die erste «Cargo sous terrain»-Teilstrecke zwischen Zürich und Härkingen (SO) veröffentlicht. Es ist der erste Schritt im Bewilligungsverfahren unter Zeitdruck: Schon 2031 soll das Teilstück in Betrieb gehen. Dafür soll der Bau schon 2026 beginnen. Im letzten Jahr fanden dafür erste Probebohrungen im Gelände statt. Die betroffenen Gemeinden haben nun einen Monat Zeit, um Stellung zu nehmen.