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Caroline Straub: «Ich teile die Ansprüche der Gen Z»

Während die Unternehmen nach Angestellten suchen, steigen deren Erwartungen. Das sei aber nicht neu, sagt Betriebsökonomin Caroline Straub.

| Léonie Hagen | Wirtschaft
Ob Homeoffice oder Jobsharing: Flexibilität ist gefragt. Foto: Unsplash
Ob Homeoffice oder Jobsharing: Flexibilität ist gefragt. Foto: Unsplash

Pensumsreduktion, Homeoffice und genug Zeit für das Leben ausserhalb der Arbeit: Auch in der Schweiz gewichten immer mehr Menschen ihre Work-Life-Balance höher als ihren Lohn. Caroline Straub, Sie forschen an der Berner Fachhochschule zu sogenannten «New Work»-Fragen. Und sagen: «So neu ist das alles nicht.» Warum? 

Den Begriff «New Work» gibt es schon seit den 1980er-Jahren. Er beinhaltet eine Zusammenführung mehrerer Arbeitskonzepte, die als zentrale Elemente Freiheit, Eigenständigkeit, Sinnhaftigkeit und Inklusion haben. Die Möglichkeiten dafür gab es schon lange, aber sie wurden selten genutzt. Während der Pandemie sind die Leute nun auf den Geschmack gekommen. 

Das heisst? 

New Work beinhaltet, dass alles flexibler wird – der Arbeitsort, die Arbeitszeit, die Arbeitsinhalte, die Art der Anstellung. Diese Tendenzen hat die Pandemie verstärkt. Zum Beispiel ist der Wunsch nach Homeoffice nach der Pandemie gestiegen, so wie die Nachfrage nach flexiblen Arbeitsverhältnissen. Das sieht man besonders deutlich an den digitalen Jobvermittlungsplattformen, die aus dem Boden spriessen. Dazu haben wir ein Forschungsprojekt mit der Uni Bern gemacht. Herausfinden wollten wir, wie es Personen mit diesen flexiblen Jobs geht. 

Man meldet sich auf einer Plattform als verfügbare Arbeitskraft mit Angaben zu den Erfahrungen und Kompetenzen an. Die Plattform vermittelt anschliessend Jobaufträge – ganz ohne Bewerbungsver­fahren und Arbeitsvertrag. Wie läuft das in der Schweiz? 

Lange nutzten vor allem Studierende diese Plattformen, um unkompliziert an Nebenjobs zu kommen. Doch darüber geht es schon lange hinaus. In der Schweiz gibt es heute digitale Plattformen für alle Branchen. Coople ist
eine Schweizer Plattform, auf der 700 000 Arbeitende registriert sind. Davon sind nicht alle aktiv, aber das entspricht rund zehn Prozent der Erwerbstätigen in der Schweiz! Man findet vom Koch über die Therapeutin bis hin zum Anwalt alle Jobprofile.  

Vor allem gibt es weniger Kon­trollmöglichkeiten durch Behörden. Werden die Leute damit nicht nur stärker ausgebeutet?

Natürlich – im Niedriglohnsektor. Nehmen wir Putzkräfte oder Lieferdienstkuriere: Die sind natürlich auf einer solchen Plattform oftmals nicht abgesichert. Genauso wenig, wie sie es allerdings oft abseits der Plattformen sind.

Auch für bessergestellte Free­lancer entfallen auf solchen Plattformen wichtige Teile des Arbeitnehmerschutzes. 

Das ist tatsächlich eine Herausforderung. Man ist weder fest angestellt noch selbstständig versichert. Einzelne Plattformen versuchen, über Projektverträge mit AHV-Einzahlungen etwas Abhilfe zu schaffen. Aber hier gibt es noch viel Potenzial. 

Auch in Festanstellungen kommen immer mehr Forderungen nach Flexibilität auf. Dazu gehört auch die Viertagewoche, zu welcher Sie eine Pilotstudie durchführen. Was macht die Viertagewoche aus?

Mit der Viertagewoche wird die übliche wöchentliche Arbeitszeit auf vier Tage reduziert, ohne den Lohn zu reduzieren. Einfach gesagt, arbeitet man 80 Prozent zum 100-prozentigen Lohn.

Die Definitionen gehen teils auseinander. Die Migros führt etwa in einigen Filialen im Fleischverkauf eine «Viertagewoche light» ein. 

Was die Migros einführt, ist keine Viertagewoche, sondern vielmehr eine komprimierte Arbeitswoche. Sie ermöglicht ihren Angestellten ihre 40 Stunden auf vier Arbeitstage zu verteilen. Das ist zwar eine Flexibilisierung, weil man sich die Zeit freier einteilen kann. Aber an der Arbeitslast ändert sich nichts. Sie wird nur komprimiert auf etwa zehn Stunden pro Tag. 

Was spricht denn dafür, die Arbeitszeit zu reduzieren? 

Die Arbeitsproduktivität ist in den letzten Jahrzehnten unglaublich angestiegen. Heute leisten wir in einer Arbeitsstunde deutlich mehr als noch vor zwanzig Jahren. Durch Arbeiten im Homeoffice fallen Arbeitswege weg, durch digitale Tools wird die Kommunikation schneller, künstliche Intelligenz wird uns Arbeit abnehmen. Trotzdem halten wir an derselben wöchentlichen Arbeitszeit fest, die Mitte des 20. Jahrhunderts festgelegt wurde. Eigentlich müsste man umgekehrt fragen: Ist das noch zeitgemäss?  

Gleichzeitig ist es nachvollziehbar, dass die Unternehmen mit einer Senkung der Arbeitszeit keine Einbussen riskieren wollen. 

Viele Studien zeigen keine Einbussen in der Produktivität. Im Gegenteil: Durch ausgeruhtere und motiviertere Mitarbeitende wurden manche Betriebe sogar produktiver. Die Viertage­woche macht einen Betrieb in Zeiten des Fachkräftemangels zudem auch attraktiver, und sie setzt Anreize, dass Personen, die heute aus familiären Gründen zu tiefen Pensen arbeiten, diese erhöhen.

Gilt das nicht nur für die gut verdienenden Büroangestellten? 

Überhaupt nicht. Für unsere Pilotstudie zur Viertagewoche haben sich Unternehmen aus allen Branchen gemeldet. Und es gibt Beispiele, wie eine Viertagewoche auch in Handwerks­betrieben funktionieren kann. 

Zum Beispiel?

In einem Spiezer Elektrik- und Telematik-Unternehmen, das die Viertage­woche vor zwei Jahren in Eigenregie eingeführt hat, kam es zu deutlich weniger Ausfällen aufgrund gesundheitlicher Probleme. Die Mitarbeitenden sind entspannter und somit gesünder, sodass dies einen ganzen Monat an Ausfällen wettgemacht hat. Ausserdem wissen wir alle, dass wir die Zeit im Job nicht immer produktiv nutzen. Durch die Einführung der Viertagewoche kam es im besagten Betrieb zu effizienteren Prozessen, da man genau hingeschaut hat. Und: Wenn der Elektriker gut gelaunt und entspannt auftaucht und eine gute Arbeit leistet, mag das auch der Kunde. 

Gut gelaunt und entspannt arbeiten – das scheinen vor allem jüngere Generationen einzufordern. Wie sehr müssen Arbeitgeber diesen Ansprüchen gerecht werden? 

Ich halte wenig von solchen Generationenzuschreibungen. Ich gehöre nicht zur Generation Z und habe trotzdem die gleichen Ansprüche an mein Arbeitsumfeld, die man der «Gen Z» vorhält. Im Endeffekt verändert sich
einfach die Arbeitswelt ganz losgelöst von den vermeintlichen Generationen. Als Unternehmen kann man sich schlicht nicht leisten, sich dem zu verweigern.  

Wie meinen Sie das? 

Man muss sich dieser Realität stellen. Wenn man auf dem Arbeitsmarkt und als Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben will, dann braucht es neue Strukturen – etwa neue Führungsansätze, flachere Hierarchien, Möglichkeiten zur Mitgestaltung. 

Generationenforscher fürchten zunehmende Arbeitsverweigerung. Stichwort: «Quiet Quitting», der Rückzug in den Dienst nach Vorschrift.

Die Leute «quitten», weil sie kein genügend positives Arbeitsumfeld haben. Das zeigt sich in allen Generationen. 

Oft heisst es darauf: Ein Arbeitsplatz ist kein Streichelzoo. 

Und dem stimme ich auch absolut zu! Diese Vorstellung, dass man in einem Büro nur genug Tischtennis spielen und Spass haben soll, ist natürlich falsch gedacht. Es geht nicht darum, eine Wohlfühloase zu schaffen. Sondern darum, dass man ein Umfeld schafft, in dem die Angestellten einen Sinn in ihrer Arbeit sehen. 

Muss Arbeit denn sinnhaft sein?

Alles andere wäre traurig. Die Arbeit macht doch viel unserer Lebenszeit aus. Da ist es schon wichtig, dass sie uns positive Energie bringt. Wenn man nun sagen würde, wir arbeiten nur noch, um unser absolutes Grundeinkommen zu sichern und Zeit freizuschaufeln für die Dinge, die uns wirklich glücklich machen: Das klingt für mich nach Resignation. Wenn das geschieht, ist in der Organisation etwas grundsätzlich falsch gelaufen.  

Man könnte entgegnen: Glück ist Privatsache. Warum sollte sich eine Arbeitgeberin darum kümmern? 

Die Qualität der Arbeit muss sich verbessern. Wenn ich als Arbeitnehmerin ernst genommen und wertgeschätzt werde und man mich teilhaben lässt an der Gestaltung, dann bin ich eine glückliche Arbeitnehmerin. Dann arbeite ich gerne und bin damit meist auch produktiv unterwegs, und dann ist auch mein Arbeitgeber glücklich. Letztlich profitieren alle davon, wenn es den Arbeitnehmenden gut geht.

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Zur Person: 

 

Prof. Dr. Caroline Straub unterrichtet an der Berner Fachhochschule Personalmanagement und Leadership. Die Betriebsökonomin forscht am Berner Institut «New Work» zu plattformbasierter Arbeit, digitalem Personalmanagement, Flexibilisierung der Arbeitszeit und der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. In diesem Rahmen begleitet sie eine Pilotstudie zur Machbarkeit der Viertagewoche in der Schweiz, die im Frühling 2024 lanciert wurde. Erste Resultate dazu sollen im Sommer 2025 vorliegen.


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