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«Geht es um Zahlen, reagieren die Leute irrational»

Im neuen Roman von Michael Stauffer will Mikka, Studentin der Volkswirtschaft, zusammen mit ihrem Schulfreund die Welt retten. Ihre magischen Gaben unterstützen sie bei der Gründung der Glückspilzbank, deren Ziel es ist, die grossen Vermögen zu vernichten. Der «Anzeiger» sprach mit dem Autor über das Finanzsystem. 

| Bettina Gugger | Kultur
Michael Stauffer
Michael Stauffer spricht gerne übers Geld. Foto: Randy Tischler.

Anzeiger Region Bern: Michael Stauffer, Ihre Protagonistin Mikka, Studentin der Volkswirtschaft, errichtet in der Debit Bank Swiss eine besondere Abteilung, die sich mit der Auflösung der grossen Vermögen beschäftigt, die Onnepekka Pankki, was im Finnischen «Glückspilzbank» heisst. Welche Beziehung haben Sie zu Finnland? 

Michael Stauffer: Meine Partnerin Noëlle hatte vor 15 Jahren ein Stipendium in einem finnischen Kaff, in Jyväskylä. Sie logierte in einem vergammelten Vereinshaus, wo es zu wenig Ruhe gab. Wir fuhren, bis es nicht mehr weiterging. So sind wir in Lappland gelandet. Seither verbringen wir fast jeden Sommer in Lappland. Ich weiss kaum etwas über die Finnen. Es ist keine rationale Beziehung, sondern eine emotionale. Mir gefallen die Wälder, die Hochebenen, man hat das Gefühl, in den Alpen zu sein, obwohl man sich auf 400 Metern über Meer befindet. Die soziale Durchmischung funktioniert sehr gut: In jedem Dorf sind sowohl Handwerker wie auch Studierte vertreten. Die Finnen sind sehr interessante, zurückhaltende Menschen. Die Sprache ist ein wunderbares Rätsel. Durch die Grenze zu Russland, die vorher niemanden interessiert hat, wird das Land plötzlich noch interessanter.  

Sind die Finnen glücklicher als die Schweizer?

Ich weiss nicht, ob man das messen kann. Aber man merkt, ob die Menschen gestresst sind. Jene Menschen, denen es gut geht, sind auch nicht dauernd gestresst. Die Finnen machen einen ruhigen Eindruck, also würde ich behaupten, sie sind ganz weit vorne.

Sie gehören zu den wenigen Autoren, die sich der Wirtschaft annehmen. Wie erklären Sie sich die literarische Scheu vor dem Finanzsektor?

Man kann damit weniger gut Preise gewinnen als mit einem Thema, das in aller Munde ist. Die Kunst hat Themenaufträge, die sie aus sich selbst heraus generiert, oder sie öffnet sich für Vorschläge aus der Gesellschaft. Diese sind meist harmlos; Klimawandel, Flüchtlinge, Armut. Die Literatur hat offenbar keinen Auftrag, über «erfolgreiche» Dinge oder über Geld zu schreiben, was ich seltsam finde, schliesslich hängt ja alles daran, wenn wir von einem westeuropäischen kapitalistischen Land sprechen. Die Leute schreiben lieber über Armut und Missbrauch im Betroffenheitsgestus. Das sind auch gute Themen, ohne Frage. Ich vermute, dass ein Grossteil der Menschen aus dem Kulturschaffendenmilieu aus gutem bis sehr gutem Elternhaus stammen. Nähmen sich diese Leute dieser Themen an, käme unweigerlich die Frage nach der eigenen Herkunft und der Beziehung zum Geld auf. Über Geld, Einkommen und Subventionen wird fast nie gesprochen. Preisgelder werden nie aufgerechnet. Es gibt ausserdem keine Geld-Fachleute, die Romane schreiben. Fachbücher, die auch Literatur sein wollen, gibt es auch nicht. «Glückspilzbank» ist ein Versuch, das etwas zu mischen. 

Sie verknüpfen in «Glückspilzbank» Wirtschaft und Spiritualität. Wie kamen Sie auf diese ungewöhnliche Paarung?

Ich verstehe nicht, warum die Leute sich nicht sachlich mit den Missständen und Risiken des Geldsystems auseinandersetzten, da die Widersprüche so dermassen offensichtlich sind. Eine Bank nimmt von dir 10000 Franken, verleiht davon 9999 Franken weiter, und davon werden wieder 9998 weiterinvestiert, ohne dass grössere Sicherheiten zurückbehalten werden. So funktioniert unser Bankensystem. Ab und zu fällt wieder ein Häuschen zusammen, und die Leute stehen da, betrachten die Ruine und glauben trotzdem weiter daran, dass dieses Ausleihsystem, ohne Sicherheiten zu hinterlegen, auf Ewigkeiten funktioniert. Das hat mit Aberglauben und Esoterik zu tun. Oder wenn eine Person vorgibt, nicht zu wissen, wie viel Geld sie zum Leben braucht, dann ist sie entweder dumm, hat sich noch nie damit beschäftigt, will nicht darüber reden, oder sie sagt sich, es werde schon irgendwie reichen. Wenn es um Zahlen geht, reagieren die Leute auf einer irrationalen Ebene. Und so sagte ich mir: Wenn man auf der sachlichen Ebene nicht über Geld sprechen kann, mache ich es einfach ein bisschen unsachlich. 

Was bedeutet das für unsere Gesellschaft, wenn wir uns vor wirtschaftlichen Themen drücken?

Wenn man sich nicht oder nur unsachlich ums Thema Geld kümmert, ist es kein Wunder, wenn man verarscht wird. Da kann man sich im Nachhinein auch nicht beschweren, wenn es keine AHV mehr gibt, oder wenn einem die Pensionskasse unter dem A. dahinschmilzt. Oder nehmen wir den Zusammenhang zwischen Arbeit und gutem oder schlechtem Lohn. Nur noch ein kleiner Prozentsatz arbeitet fürs Geld. Der Grossteil besteht aus Superreichen, Rentnern, Erwerbslosen oder Sozialhilfebezügern. Es reicht nicht, zu sagen, es sei komisch, wenn man nicht mehr weiss, ob es sich lohnt, fürs Geld zu arbeiten. Es nützt auch nichts, die Renten raufzuschrauben. Nehmen wir das bedingungslose Grundeinkommen – was kommt danach? Der Sinngehalt des Lebens wird nicht besser, wenn man alle Leute in die Rente drückt. 

Es nützt auch nichts, wenn der Schriftstellerverband ein Mindesthonorar für eine Lesung festlegt, im Moment sind das zwischen 600 und 800 Franken. Dieses Honorar zahlt fast kein Veranstalter. Dazu bräuchte es einen Vertrag zwischen den Veranstaltern und den Künstler analog zu einem GAV. Nur Veranstalter, die sich an den GAV halten, bekämen Subventionen. Dann gäbe es Veranstalter, die sich vertraglich binden wollen, und solche, die frei organisiert bleiben möchten. 

Damit sich etwas verändert, müssen wir übers Geld sprechen und von diesem Aberglauben wegkommen. Das ist alles nicht so kompliziert. 

Gleichzeitig suggeriert die Esoterik- und Coachingliteratur: «Wenn du dich nur genügend selbstoptimierst, manifestierst und visualisierst, kommt der Erfolg automatisch.» 

Affirmieren ist schon gut, aber man muss die Lohnverhandlung trotzdem noch führen. 

Die Protagonistin Mikka kann Gedanken lesen und andere hypnotisieren. Wie gut können Sie selbst Gedanken lesen?

Ich verstehe relativ schnell, was jemand sagen will, und muss mich dann immer ein bisschen zusammenreissen, damit ich nicht ins Wort falle. Es geht eher darum, eine Person global zu verstehen, als ihre Gedanken zu lesen. Wenn mir jemand erzählt, er habe in der Tasche einen Igel, dann glaube ich ihm und frage nach, woher er den Igel habe, anstatt auf Abwehr zu gehen. Mikka hat ein grosses Interesse am Gegenüber, in diesem Sinn ist das Gedankenlesen zu verstehen. Ihr Kollege Andreas ist in vielen Bereichen nicht mit ihr kompatibel, aber die beiden funktionieren gut zusammen, da sie sich füreinander interessieren. 

Je weniger Vorurteile man hat, desto offener ist man fürs Gegenüber …

Wenn ich etwas vom Gegenüber will, ja. Für eine Figur in einem Buch ist es von Vorteil, wenn sie empathisch oder hyperempathisch ist, wenn sie den Leser oder die Leserin verändern will. Das ganze Buch ist deshalb sehr empathisch geschrieben. 

Wen würden Sie gerne in Hypnose versetzten und zu welcher Handlung verleiten?

Heute hatte ich Pilates, und ich hätte mich gerne selbst hypnotisiert, da ich die ganze Zeit an die zweite Yogamatte dachte, die ich von jemandem ausgeliehen habe und die nicht mehr auffindbar ist. Wenn jemand in einer Schlaufe steckt, ist Hypnose gut. Ich würde niemanden hypnotisieren wollen, um etwas zu meinen Gunsten zu beeinflussen, dann manipuliere ich lieber direkt, das geht schneller. 

Mikka erklärt der Führungsetage der Debit Bank Swiss in einer Massenhypnose: «Ein Handelssystem, das nur auf Gewinn beruht, ist vollkommen in Ordnung, solang man sich darüber im Klaren ist, dass es bei Verlusten keine Rettung mehr gibt.»

Um die CS vor ihrem Niedergang für ihre Aktionäre kurz attraktiver zu machen, hat man deren AT1-Anleihen gelöscht. Solche Anleihen sind nichts mehr wert, sobald es der entsprechenden Firma sehr schlecht geht oder wenn zum Beispiel ein Staat mit Notrecht dazwischenpfuscht. Bei der CS belief sich der Wert dieser AT1-Anleihen auf 4 Milliarden oder mehr. Und jetzt gibt die UBS selbst wieder solche AT1-Anleihen heraus, obwohl sie noch alte AT1 der CS offen hat, von denen man nicht weiss, ob diese noch Klagen mit sich ziehen. Mikka versucht gegen das Schuldenmachen mit null hinterlegter Sicherheit vorzugehen. 

Sie bringen in der Glückspilzbank das Problem unseres Geldsystems auf den Punkt: «Transaktionen mit nichts machen». Mikkas Freund schlägt vor, dass der Transaktionsurheber selbst als Transaktionsinhalt herhalten muss. Beschreiben Sie sich selbst als Transaktionsinhalt. 

Wenn beispielsweise jemand eine simple Teetasse für 400 Franken verkauft, die in Wirklichkeit einen Wert von 4 Rappen hat, dann geht es doch nur noch um die Personen, die diesen Deal verhandeln. Wenn also jemand 200 Milliarden ohne Gegenwert ausleiht, so wie im März die Nationalbank der CS 200 Milliarden als Liquidationshilfe zusicherte, dann könnte er doch vom Gegenüber etwas als Sicherheit verlangen, im Stil von: «Wenn die 200 Milliarden nicht zurückkommen, dann kann ich dich essen.» Ich selbst käme nicht in die Position, als Transaktionswert herhalten zu müssen, da ich keine Luftgeschäfte mache. 

Mikka schlägt nicht nur eine Auflösung der grossen Vermögen, sondern auch eine Auflösung der Vermögenden vor. Die Marketingdame Marcia beschreibt es folgendermassen: «Statt Schuhe zu kaufen, kauft man einfach sämtliche Wegstrecken, die man zurücklegen möchte. Und weil du den Weg kaufst, hast du ihn ja schon zurückgelegt und musst ihn nicht mehr gehen, deshalb brauchst du auch keine Schuhe mehr.» Ruhe und Zufriedenheit anstelle von materiellem Gewinn ist das Credo. Wie befreien wir uns von unseren Ambitionen?

Mit Lachen, über sich selbst, aber gerne auch über andere, und indem wir aufhören, uns zu vergleichen. Häufig landet man in der Ego-Falle, indem man Dinge vergleicht, die nicht vergleichbar sind. Wenn das auch nichts hilft, bleibt zu überlegen, ob man Dinge schlecht organisiert hat. Häufig sind es ja Banalitäten, die einen an den Rand bringen. 

Wenn Jeff Bezos und Elon Musk einen Wettbewerb veranstalten, wer mit der grösseren Phallusrakete auf den grösseren Mond fliegen kann, dann sollte jemand laut lachen und sagen: «Es kann doch nicht sein, dass die zwei reichsten Menschen der Welt sich nur noch damit beschäftigen, auf den Mond zu fliegen. Die beiden könnten den Gazastreifen fünfzigmal neu aufbauen und dem anderen Idioten in Russland die Ukraine dreimal abkaufen.» Das gehört für mich auch zum Thema Geld, dass man seinen Unmut bezüglich dieser Wettbewerbe äussert, das wird immer nur beklatscht oder als progressiv hingestellt. Was war die Frage?

Wie man ambitionslos wird.

Mach einfach deine Sache, biete sie der Welt an, und dann gehe zum Nächsten, was dich interessiert. Sei froh, wenn jemand mit dir über deine Sache sprechen will, mach mit deiner Sache Vorträge. Höre auf, ein Dreivierteljahr bevor deine Sache fertig ist, und ein Dreivierteljahr danach, alle Klinken putzen zu gehen. Ich glaube aber nicht, dass die totale Ambitionslosigkeit gut ist. Man braucht Ziele, aber die Ziele müssen mit einem selbst etwas zu tun haben und nicht mit der Welt. 

Sollten wir also besser demütig sein?

Ich kann nicht viel dafür, in einem System wie der Schweiz geboren zu sein. Dafür demütig zu sein als Pflichtauftrag, fände ich verheerend falsch. Vergleiche ich meine Situation aber mit der Situation in einem anderen Land, dann kann mir natürlich auffallen, dass ich es hier gut habe, und dann kommen wir wieder auf die Egoantwort zurück: Höre auf, dich zu beschweren, du hast hier alles. 

Sobald man sich in einen Kontext stellt, merkt man vielleicht, dass die Ansprüche, die man hat, etwas übertrieben sind. Vielleicht sollte man einfach auch mal die Schnauze halten, in seinem Büro am Schreibtisch sitzen und fertig. Aber ob das Demut ist, weiss ich nicht. Demut ist mir als Begriff zu religiös. Ein bisschen Respekt schadet sicher nichts. Eine ungefähre Ahnung davon zu haben, woher man kommt, ist auch nicht schlecht. Gewisse Positionen kannst du nur vertreten, wenn du in einem bestimmten System lebst, wo es dafür Zeit, Geld und Notwendigkeiten gibt. In dem Kulturmilieu, in dem ich mich ab und zu bewege, frage ich mich manchmal, worüber die Leute vier Stunden lang sprechen. Wenn ich mich umschaue, sehe ich schon lange keine Diversität mehr, die haben so viel darüber geredet, da hat sich die Diversität schon wieder in Luft aufgelöst, weil jede noch so marginale Einzelposition so gross wurde, dass man den Rest der Welt daneben nicht mehr sieht. Es gibt zum Beispiel eine grossen Altersrassismus im Kulturmilieu, dem ich zum Beispiel rein biologisch natürlich allmählich auch zum Opfer falle. 

Sollten wir uns alle mehr in Bescheidenheit üben?

Sich aus Bescheidenheit schlecht behandeln zu lassen oder den Lohn nicht einzufordern, ist der falsche Ansatz. Wenn ich aber in einem demokratischen System lebe, in dem ich alles machen kann, was ich möchte, muss ich nicht auf die Strasse gehen und «Diktatur» schreien oder «Reiche wollen uns töten». Dann muss ich mich so gut es geht unbescheiden äussern und unbescheiden in Prozesse reingreifen, wo man meine Anwesenheit nicht vermutet.

Professorin E. macht in Ihrem Roman China als Nutzniesserin einer Pandemie aus. Wer hat in der Schweiz von der Krise profitiert?

Ich selbst und hoffentlich viele andere Selbstständigerwerbende, denen man ein kurzfristiges Berufsausübungsverbot verordnet hatte. Plötzlich konnten extrem schwankende Einkommen zwei Jahre lang zu fixen Einkommen umgewandelt werden. Ich zahle seit 1998 als Selbstständiger in diverse Kassen ein, ohne arbeitslos werden zu können. Ich glaube aber, dass die Summe der Beiträge, die ich 22 Jahre lang einbezahlt habe, nun nach nur zwei Jahren «Coronarente» bereits ausgeschöpft ist. Weiter haben auch viele Unternehmen profitiert. Kurzarbeit wurde beantragt, Lohnkosten gespart, was super für die Aktionäre war. Auch alle, die unnötige und nötige Hilfsmittel angeboten haben, von Masken bis zu Tests, haben schamlos profitiert, und nicht zuletzt die Pharmaindustrie. Die wird in der Schweiz sowieso schon gehätschelt wie blöd. 

Persönlich habe ich von der Verkehrsfreiheit am meisten profitiert. Ich war extrem viel mit dem Fahrrad und zu Fuss unterwegs. Ich bin mit meiner Familie rumgefahren, obwohl niemand hätte rumfahren sollen. Das fand ich super, diese totale Verkehrsfreiheit – auch auf der Autobahn hat man nur alle drei Minuten ein Auto gesehen. Weiter habe ich von lustigen Reisen profitiert, weil plötzlich nicht mehr klar war, wer wann wohin reisen darf. Das Reisen war plötzlich wieder pionierhaft. 

Die jüngste Schweizer Bankengeschichte zeigte: Es gibt immer eine Rettung. Gibt es auch in der Literatur ein «Too big to fail»-Gesetz?

Es gibt vermutlich international publizierende Autoren, für die sehr viel Markenpflege rausgehauen wird. Salman Rushdie hat zum Beispiel etwa vor drei Monaten eine kleine Reminder-Kampagne für sein nächstes Buch erhalten, das im April 2024 erscheint. Ich glaube aber, dass es in der Kultur insgesamt eher um «Too small to survive» geht.

Gleichzeitig steckt der Kulturbegriff in einer «Too big to fail»-Blase, wie mir scheint. Es wird so getan, als ob die Kultur total wichtig wäre und als müsste wirklich alles doppelt und vierfach angeboten werden. Wenn man genau hinschaut, was das für das einzelne Individuum bedeutet, relativiert sich das.

Für den Konsumenten oder den Künstler?

Für beide. Der Konsument ist von der Angebotsmasse total überfordert und weiss nicht mehr, wie er auswählen soll. Und der Künstler oder Schriftsteller weiss eigentlich, dass sein Werk, wenn er nicht aussergewöhnlich viel Glück hat, marginal bleiben wird. Auch wenn sein Buch im Schweizer Fernsehen besprochen wird, verkauft er kaum mehr als 300 zusätzliche Exemplare. 

Welche Schriftstellerin oder welcher Schriftsteller würden Sie finanziell retten, egal, was passiert? 

Ich würde jeden oder keinen retten. Ich mache ja diesen Nebenjob an der Hochschule. Das ist nicht Rettung, aber Unterstützung, Ermutigung zur Selbstermächtigung, dass jemand intakt bleibt und nicht aufgibt. Häufig ist ja nicht das Geld das Grundproblem. Als Künstler kannst du in der Schweiz überall anklopfen. Es sind eher Ego-Probleme, schlechte Organisation oder beides zusammen, das zu einem Struggle führt – oder Grössenwahn, und da weiss ich nicht, ob man dann retten musss – aber es gibt wahrscheinlich mehr Leute, die etwas Gutes hätten, das niemand zur Kenntnis nimmt. Und es gibt genauso viel Mist, der zur Kenntnis genommen wird. Ich müsste mehr zur Person wissen, die sich retten lassen möchte, dann könnte ich mir überlegen, wie ich helfen könnte.

Oder vor einer Ideologie retten. 

Ja, da gäbe es viel zu tun. Rettung vor Dogmen. Man sollte nichts verbieten, sondern neue Sachen in den Kanon aufnehmen. Dann würde eher was anderes rausfallen. 

Zeigt sich bei Ihnen noch ab und zu die Gier?

Ich habe eine protestantische Sparsamkeitsneurose. Völlig lächerlich. Im letzten Urlaub wollte ich zum Beispiel für vier Tage ein Auto mieten, das 100 Franken kostet, und dann verglich ich eine Stunde lang die Preise, um ein Auto zu finden, für das ich dann nur 65 Franken bezahlte, aber die Preisrecherche verursacht ja wiederum auch Kosten in Form von investierter Arbeit. Den Lohn für diese Arbeit bekomme ich allerdings nicht ausbezahlt. Wenn ich dasselbe noch für ein Hotel mache, habe ich fast vier Stunden gearbeitet. Bei grösseren Summen und auch bei Summen, die sich wiederholen, wie zum Beispiel Telefonabos oder 3A-Sparmöglichkeiten, ist es schlau, sie genau anzuschauen, denn das multipliziert sich über Jahrzehnte. Ich habe im Laufe der letzten 25 Jahre immer wieder die Telefonabos gewechselt und 3A-Gelder zu tiefen Gebühren angelegt und dadurch mehrere 10000 Franken gespart. 

Was würden Sie machen, wenn Sie plötzlich ein drei Millionen auf dem Konto hätten?

Ich würde Aktien kaufen und überlegen, welche Firmen ich unterstützen möchte. Jeder, der Vermögen hat, muss sich überlegen, was er mit diesem Vermögen ermöglichen möchte. Gibst du der Bank die Möglichkeit, das Geld weiterzuverleihen und irgendwas zu machen, dann hast du nichts entschieden. Investierst du in Firmen, die du selber gut findest, hilfst du der Firma, sich weiterzuentwickeln. Das kann man bis zu einem gewissen Grad von einem Laien verlangen. Aber die Leute wollen nicht entscheiden. Ich bin sicher, wenn man die Leute mehr mitreden liesse, wie ihre Pensionskassengelder investiert werden, kämen gewisse Firmen auch unter Druck. Schlussendlich interessiert es eine grosse Firma, wenn sie plötzlich kein Geld mehr bekommt, weil sie beispielsweise nicht nachhaltig genug ist. Ich würde das Geld sicherlich 20 Jahre behalten, und dann würde ich es retour geben oder dem Kind schenken. Bei 30 Millionen würde ich die Hälfte direkt weitergeben. 15 Millionen würde ich behalten und damit die Michael-Stauffer-Foundation gründen, deren Stiftungsziel ich jetzt noch nicht kenne.

 

Michael Stauffer

Wurde 1972 in Winterthur geboren. Seit 1999 widmet er sich der Schriftstellerei. Er ist bekannt für seine surrealistischen Erzählungen, Theaterstücke, Hörspiele, Lyrik und Spoken Word Performances. Stauffer ist Dozent am Schweizerischen Literaturinstitut und lebt mit seiner Familie in Biel. Buchpremiere, Michael Stauffer & Béatrice Graf, Le Singe, Biel, 21. Dezember, 20.00 Uhr. 

 

Buchpremiere, Michael Stauffer & Béatrice Graf, Le Singe, Biel, 21. Dezember, 20.00 Uhr. 


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