Anzeige
Anzeige
Auf der Bühne liegt ein Kleiderberg, sonst nichts. Baja (Genet Zegay) flüchtet vor den mobbenden Klassenkameraden ins Theater und entdeckt dort das Buch der unendlichen Geschichte. Kaum beginnt sie darin zu lesen, gerät der Kleiderberg in Bewegung. Und plötzlich sind sie da: die drei Fabelwesen Irrlicht, Rennschnecke und Felsenbeisser – und mit ihnen die Gewissheit, dass deren Heimat in Gefahr ist. Denn die Kindliche Kaiserin ist krank, und das Land Phantásien droht vom Nichts ausgelöscht zu werden. Atréju (Linus Schütz) und Glücksdrache Fuchur werden auf eine abenteuerliche Reise geschickt, um Phantásien zu retten. Sie müssen ein Kind aus der Menschenwelt finden, welches der Kaiserin einen neuen Namen geben kann.
Magische Rettungstat
Michael Endes Unendliche Geschichte (1979) ist ein Klassiker schlechthin. Über 40 Millionen Mal wurde das Buch verkauft. Schauspieldirektor Roger Vontobel und sein top besetztes Ensemble zeigen eindrucksvoll, wie gut sich der Stoff auch für die Bühne adaptieren lässt. Inszeniert wird die Reise durch Phantásien als grosse Geschichte über die eigene Handlungsmacht und die Kraft der Fantasie. Es ist ein berührender Moment, als Baja feststellt, dass sie vom Bühnenrand aus Einfluss nehmen kann, ja sogar Einfluss nehmen muss – und das Premierenpublikum mit ihr zusammen den magischen Namen ruft, um den Untergang Phantásiens abzuwenden.
Aus der Leere Dinge schaffen
Gänsehautmomente gibt es einige. Etwa als das Pferd Artax im Sumpf der Traurigkeit versinkt und der ganze Theatersaal die Luft anzuhalten scheint. Oder als der Bösewicht wissen will, wer das Buch mit der unendlichen Geschichte gestohlen hat und Hunderte Kinderhände in die Höhe schnellen, um die Schuld von Baja abzulenken.
Mithilfe von Lichteffekten, Nebel- und Windmaschinen, fliegenden Schauspielerinnen oder Bühnenbodenversenkungen entwickeln sich die schlichten und kraftvollen Bühnenbilder jeweils aus dem Nichts. Die Musikkapelle, bestehend aus einer Geige und einem Cello, untermalt das Geschehen mit sanften Klängen. Nicht nur die Livemusik, sondern auch die Interaktion mit dem Publikum und die im Moment entstehenden Bühnenbilder machen deutlich: Gemeinsam erschaffen wir hier eine Welt.
Eintauchen leicht gemacht
Zwei Stunden dauert die Reise durch Phantásien, doch langweilig wird dem Publikum ab acht Jahren nie. Dafür ist die Inszenierung, die auch Erwachsene mitreisst, viel zu abwechslungsreich. Und spätestens als Baja auf dem Rücken des Glücksdrachens am Münster vorbei über Bern fliegt, ist klar: Mit unserer Fantasie versetzen wir mehr als nur Kleiderberge. Veränderung ist möglich, wenn wir den Mut haben, sie uns vorzustellen. In einer Zeit, in der das «Nichts» in vielerlei Hinsicht bedrohlich wirkt, ist das eine ermutigende Botschaft. Für gross und klein.
Regula Portillo
Stadttheater, 20.12., 18.00 Uhr, 21.12., 09.30 und 18.00 Uhr, 22.12., 09.30 Uhr, 24.12., 14.00 Uhr, 26.12., 15.00 und 18.00 Uhr. Vorstellungsdaten unter:
buehnenbern.ch