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Tanzend durch die Jahrhunderte

Mit «Virginia’s House» widmet sich Bern Ballett einer der eigenwilligsten Autorinnen und Wegbereiterinnen des Feminismus: Virginia Woolf. Der Anzeiger Region Bern besuchte die Proben Ende November.

| Bettina Gugger | Kultur
Bern Ballett
Foto: Nik Egger

Ende November, Dienstag, 10.00 Uhr, Tanzstudio Vidmarhalle 4.2, ein ganz normaler Trainings- und Probentag von Bern Ballett beginnt. Heute findet das klassische Training unter der Leitung von Gast-Ballettmeister Didier Chape statt. Die Tänzerinnen und Tänzer trainieren nach einem Warm-up an der Stange, begleitet von einem Live-Pianisten, dem Korrepetitor. Das Ensemble tanzt Schrittfolgen nach, bis der Ballettmeister zu schweisstreibenden Sprüngen anleitet. Der Boden scheint beim Aufprall der Füsse zu vibrieren. Fünf Mal in der Woche trainieren die Tänzerinnen und Tänzer von Bern Ballett, um in Form zu bleiben und an ihrer Technik weiterzufeilen. Abwechselnd steht klassisches Ballett oder zeitgenössischer Tanz auf dem Trainingsplan. 10 Festmitglieder, zwei Gäste und vier Apprentices, das sind Tänzerinnen und Tänzer im letzten Ausbildungsjahr einer Tanzschule, zählt das Ensemble. Der Berufseinstieg ist schwierig, die Konkurrenz gross, doch wer es als Apprentice auf die Bühne schafft – die Novizen tanzen ein Jahr lang als vollwertige Mitglieder in der Compagnie mit –, hat gute Chancen auf einen Vertrag an einem europäischen Theater. An Schweizer Bühnen sind Verträge meist auf eine Spielzeit befristet und werden in der Regel automatisch verlängert.

 «Bern Ballett setzt auf Persönlichkeiten», wie Bettina Fischer, die seit zwei Jahren als Dramaturgin bei Bern Ballett arbeitet, erklärt. Davor war sie lange Jahre Dramaturgin für Ballett am Theater Basel. In der Compagnie sind unterschiedliche Charaktere aus neun Nationalitäten vertreten, unter ihnen Momoko und Toshitaka Nakamura aus Japan. Seit fünf Jahren tanzen sie zusammen auf den Bühnen von Bern Ballett und gehen auch privat gemeinsame Wege. Bei Bern Ballett schätzen sie die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Choreografinnen und Choreografen und den inspirierenden Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen. «Das Ensemble trifft sich auch gerne in der Freizeit, um zusammen zu kochen oder wandern zu gehen», verrät Bettina Fischer. 

 Konventionen zu Hause lassen

11.15 Uhr. Der Schweiss rinnt den Tänzerinnen und Tänzern aus allen Poren. Sie haben 20 Minuten Zeit, um ihre Trainingsklamotten zu wechseln und sich kurz auszuruhen, bevor es mit den Proben weitergeht. Eine der beiden Choreografien für «Virginia’s House» steht auf dem Programm, inspiriert von Virginia Woolfs Prosa. Zwei Choreografinnen sind dieses Mal am Werk, der Tanzabend gliedert sich in zwei Teile. «Während sich Paloma Muñoz mit Virginia Woolfs assoziativen, mäandrierenden Bildwelten auseinandersetzt, wählt Caroline Finn den Zugang über Textilien», erzählt Bettina Fischer. Mode sei ein zentrales Motiv der Bloomsbury-Gruppe gewesen, die sich in den Nullerjahren des 20. Jahrhunderts rund um Virginia Woolf und ihre Schwester Vanessa Bell bildete. Die Gruppe traf sich, um zusammen zu diskutieren, sie organisierte Ausstellungen und private Veranstaltungen. «Virginia Woolf war sich der Macht der Mode bewusst», so Fischer. So habe Woolf auf ihre Einladungskarten an die Bloomsbury-Gruppe geschrieben: «Bring no clothes». Damals sei es üblich gewesen, fürs Diner eine extra Garderobe mitzubringen. «Der Hinweis war ein Aufruf, Konventionen zu Hause zu lassen», so Fischer. 

Im Laufe des Proben-Prozesses wählen die Tänzerinnen und Tänzer ein Kostüm aus dem Fundus aus, welches der Kostümbildnerin Catherine Voeffray als Vorlage dient. Auch sie ist heute bei den Proben mit Caroline Finn dabei. Mit dabei auch Finns gutmütiger Sennenhundmischling, der sich vom Bewegungsenthusiasmus der Compagnie überhaupt nicht beeindrucken lässt. Die Atmosphäre ist entspannt, aber konzentriert. Das Ensemble hat bereits in den letzten beiden Spielzeiten mit Caroline Finn gearbeitet. Die Tänzerinnen und Tänzer unterstützen sich gegenseitig und üben in kleinen Gruppen ihre Bewegungsabfolgen ein. Nichts ist mehr zu spüren von der medialen Aufregung im letzten Jahr rund um die verbalen Übergriffe eines Probenleiters, dessen Fehlverhalten an einer Premierenfeier schliesslich zu dessen Kündigung geführt hat. «Die Ereignisse in der Vergangenheit haben in der Zusammenarbeit viel bewirkt», so Bettina Fischer. «Die Sensibilität, gerade junge Tänzerinnen und Tänzer zu schützen, ist da. Sie werden ermutigt, sich zu äussern, wenn etwas für sie nicht stimmt», so die Dramaturgin. 

 Schwerpunkte und Visionen

Momoko und Toshitaka Nakamura schwärmen von den Farben, der Mode und dem wunderbar orchestrierten Chaos in «Virginia’s House». Im ersten Teil verkörpern sie zusammen Orlando, einen jungen Adligen, der Ende des 16. Jahrhunderts nach einem mehrtägigen Schlaf als Frau erwacht und fortan als Lyrikerin durch die Jahrhunderte reist. «Virginia Woolf war ihrer Zeit weit voraus», so Bettina Fischer. Das queere Element in Orlando passe gut in unsere Zeit. Woolf selbst war verheiratet und pflegte eine lesbische Beziehung. Mit ihrem Essay «Ein Zimmer für sich alleine» legte sie das Augenmerk der feministischen Bemühungen auf die finanzielle Absicherung der Frau.

Mit der Direktorin Isabelle Bischof setzt Bern Ballett auf Themenschwerpunkte – wie zum Beispiel Le Troisième Sexe, The Loss of Nature oder Anatomy of Emotions, wonach sich die Auswahl der Choreografinnen und Choreografen richtet. «Wir wollen auf der Bühne Visionen sehen», meint Bettina Fischer. «Neben ausgereifter Tanztechnik ist uns der künstlerische Wert einer Produktion sehr wichtig.»

Mittlerweile ist es 13.00 Uhr geworden, Zeit zum Mittagessen. Bern Ballett stellt übrigens weder Ernährungs­regeln auf, noch führt es Gewichtskontrollen durch. Die Tänzerinnen und Tänzer essen richtig – wie Spitzensportler. Von 15.00 bis 18.00 Uhr wird dann nochmals fleissig weitergeprobt. 

 

 

«Virginia’s House», Vidmar 1, 21.01. 18.00 Uhr, 28.01., 18.02., 10.03. jeweils 16.00 Uhr. Weitere Daten unter buehnenbern.ch


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