«Wenn man sein Ohr an den Boden legt und da reinhört, kann es schon sein, dass es einem zu viel wird. Weil da so viel abgeht, weisst du, wie ich meine?» Das sagt djrPH aus Nairobi, elektronischer Musiker, Produzent, DJ, verankert in – und treibende Kraft – der wachsenden kenianischen Musikszene, letztes Wochenende zu Besuch am Norient Festival in Bern. Für Norient hat er 2022 eine digitale Ausstellung zu Nairobi und verschiedenen Formen von «conscious music» in den dortigen Szenen kuratiert, ein Porträt der Stadt und die virtuelle Möglichkeit, sich darin umzusehen.
Raphael Kariuki, wie djrPH bürgerlich heisst, ist ein freundlicher Mann mit melancholischem Zug, fürs Radio Bollwerk spielt er am Donnerstag, 11. Januar, ein Set in der Stube im Progr, wo sich der Norient Festival Hub befindet. Wir sind bloss zu zweit, die zuhören, Urs und ich, und schaue ich zu ihm neben mir auf dem Sofa, sehe ich, wie er leuchtet. rPH spielt eine Stunde nur neues Material, es sei eigentlich gar keine wirkliche Musik, sagt er später darüber: eher Schichten, Strukturen, Umkehrungen; Beats und Brüche. Es zieht einen direkt hinein, und Urs freut und ärgert sich, dass so etwas im Schreiben wohl gar nicht möglich wäre, diese Form von Textur oder auch Freiheit: jeder Buchstabe schon Symbol, so schnell fühlt sich etwas überladen an.
Nachher stehen wir mit rPH draussen und rauchen, und er erzählt, wie er einmal den Boden mikrofonierte und von all dem Leben darin überrascht wurde. Ich erzähle von der Berner Sound-Künstlerin Luz González, die letzten Sommer für eine Performance am Aether-Festival in der Dampfzentrale Tonabnahmen ihres Herzschlags, ihres Herzschrittmachers und dem Herzschlag ihres damals noch ungeborenen Kindes zu einem Klang verschmolz. Es war ganz still im Raum, nur dieser eigenartige Rhythmus, pulsierend im Wortsinn, und war es noch Musik? Es kann einen schon verrückt machen.
Am Samstag zur Norient-Clubnacht ist das ISC voll, hier spielt rPH gradliniger, aber nicht unbedingt weniger verträumt. Die Menge trotz wenig Platz glücklich und Urs zuvorderst sowieso. Späternachts glaube ich die beiden ganz zufrieden in Richtung Deadend verschwinden zu sehen.
www.djraph.bandcamp.com
www.norient.com/nairobiconscious
www.luzgonzalez.art
Alice Galizia schreibt über Musik, zum Beispiel im KSB Kulturmagazin und in der WOZ, und veranstaltet Konzerte, Zum Beispiel im Café Kairo. Sie lebt in Bern.