Skip to main content

-


Anzeige

Anzeige


Kuckucksei oder Drittkunst

Carola Ertle und Günther Ketterer stossen während ihrer Sammlertätigkeit auf Kuckuckseier. Davon handelt ihre neuste Kolumne. 

| Carola Ertle und Günther Ketterer | Kultur
Kletterers
Carola Ertle und Günther Ketterer. Foto: zvg

 Vor 20 Jahren haben wir einige Arbeiten des Künstlers Jürg Straumann gekauft, weitere kamen in den folgenden Jahren hinzu, und wir sind uns immer wieder winkend an den Berner Kunstorten begegnet. Vor einigen Wochen erhielten wir ganz unerwartet eine Einladung in das Atelier des Künstlers und durften in eine vielfältige und farbige Bilderwelt eintauchen – und fanden sogar das eine oder andere Kuckucksei (Drittkunst).

Jürg Straumann hat in den vergangenen 50 Jahren ein äusserst umfangreiches und faszinierendes Gesamtwerk geschaffen, das seit einigen Jahren digitale Prozesse und Präsentationsmethoden mit einbezieht. So kann seine Einzelausstellung im Schlösschen Vorder-Bleichenberg in Biberist von 2015 digital auf der Website des Künstlers in einer frühen Virtual-Reality-Form durchschritten werden. Die Grundlage für sämtliche Arbeiten Straumanns sind die klassischen Gattungen Malerei und Zeichnung, die in ein vielfältiges Wechselspiel mit ihren digitalen Reproduktionen treten. Ein abgeschlossenes Kunstwerk wird zunächst fotografiert, in ein digitales Bildarchiv eingepflegt und differenziert verschlagwortet. Das Bildarchiv ist öffentlich zugänglich und zählt mittlerweile über 9000 Einträge. Diese digitalisierten Werke werden danach teilweise digital sowie mit Stift und Pinsel überarbeitet und wiederum in das Bildarchiv aufgenommen. So gehen aus vorhandenen Werken immer wieder neue hervor, und es entsteht ein dichtes Netz von Bezugnahmen. Durch die sogenannten Paraphrasen – das ist eine Serie von Kunstwerken, die sich auf kunsthistorische Vorbilder beziehen – treten auch Grössen der Kunst­geschichte wie Paul Cézanne, Paul Klee und Vanessa Beecroft in das Bezugsnetz ein.

Neue Werke entstehen auch in der Gesamtschau über alles bisher Geschaffene, wenn Jürg Straumann aus allen 9000 Bildern eine nach Farben und Helligkeitswerten geordnete Rasterdarstellung mit drei Metern Länge erstellt. Oder wenn er Besucher*innen dazu einlädt, in den vorhandenen Bildern nach Gemeinsamkeiten zu suchen und so dominoartige Reihen zu bilden. Da wir alle anders auf Kunstwerke blicken, ergeben sich ungeahnte und überraschende Kombinationen.

Abschliessend möchten wir nochmals zum eingangs erwähnten Kuckucksei zurückkommen: Jürg Straumann hat auf einem Touchscreen ein Spiel eingerichtet, bei dem sich zu sieben Werken aus seiner Hand jeweils eines von einem*einer anderen Kunstschaffenden gesellt. Als Spieler*in habe ich nun die Aufgabe, dieses Kuckucksei zu identifizieren und mich somit meiner Kennerschaft zu versichern. Jürg Straumann sucht neue, digitale Wege, die Spielwelten mit seiner Kunst zu verknüpfen und läuft dabei auf erfinderischen Hochtouren.

Carola Ertle und Günther Ketterer widmen sich mit ihrer Kunst­sammlung schwerpunktmässig
der Videokunst. 


Ihre Meinung interessiert uns!


Verwandte Artikel


Fleisch am Bau

Carola Ertle und Günther Ketterer berichten in ihrer Kolumne über die Ausstellung «Video*kunst» im Kunsthaus Zofingen.

Tanzend durch die Jahrhunderte

Mit «Virginia’s House» widmet sich Bern Ballett einer der eigenwilligsten Autorinnen und Wegbereiterinnen des Feminismus: Virginia Woolf. Der Anzeiger Region Bern besuchte die Proben Ende November.

Im Kreislauf zwischen Traum und Wirklichkeit

In Diessbach bei Büren hat die Berner Künstlerin Chantal Michel aus einem verwahrlosten Gutshof ein Reich errichtet, das Kunst, Restaurierung, Landwirtschaf und nachhaltige Lebensweise miteinander vereint. Der Besuch auf «dem Hof» verspricht ein unvergessliches Erlebnis, das alle Sinne anspricht.