Anzeige
«Wir backen während der Vorstellung über 300 Brötchen»
Bühnen Bern zeigt das Stück «Zeit für Freude» des norwegischen Dramatikers Arne Lygre, das die Lebensfreude zelebriert. Der «Anzeiger» sprach mit Regisseurin Mina Salehpour über die Inseznierung.
«Anzeiger Region Bern»: Mina Salehpour, was erwartet die Zuschauerinnen und Zuschauer bei «Zeit für Freude»?
Mina Saehlpour: «Zeit für Freude» vom sehr erfolgreichen norwegischen Autor Arne Lygre behandelt die Themen Freundschaft, Familie, Liebe, Einsamkeit und Tod. Der für mich bezeichnendste Satz in diesem Stück ist: «Ich liebe Menschen.»
Was verrät der etwas altertümliche Titel über die Inszenierung?
Wenn ich «Zeit für Freude» höre, dann assoziiere ich damit einen Vanitas-Gedanken, die Vergänglichkeit, das grosse Leben. Arne Lygre schrieb das Stück in der Coronazeit. Nach der Eröffnung der Theater in Norwegen wurde es als eines der ersten Stücke uraufgeführt, und er hatte damit wahnsinnig Erfolg, weil der Titel die Leute so einfing. Wenn wir nach einer Zeit der Entbehrung, der Trauer oder der Einsamkeit nach Momenten der Freude suchen, dann gedenken wir auch der Vergänglichkeit.
Im Zentrum der Inszenierung stehen menschliche Beziehungen. Im Programmtext steht: «Überraschenderweise sind die Beziehungen, die sich durch die grösste Nähe auszeichnen, jene, mit denen wir oft nicht gerechnet haben.» Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Ja, wenn man beispielsweise einen schlechten Tag hat und einen Spaziergang im Wald unternimmt und dabei auf eine Person trifft, die einem entgegenkommt. Man kommt spontan ins Gespräch und fühlt eine seltsame Nähe zu dieser Person, man ist sich wohlgesonnen. Man sagt dann Tschüss, ohne dass man sich mit dem Vornamen vorgestellt hätte, man hat auch keine Nummern ausgetauscht, aber die Begegnung war etwas ganz Besonderes. An solche Momente erinnert man sich manchmal noch Jahre später.
Haben Sie eine solche Begegnung im Kopf?
Ganz oft, denn ich bin ein Mensch, der immer Leute anspricht und Kontakt sucht, egal in welchem Land mein Team und ich gerade arbeiten. Ich kenne auch immer meine Nachbarn, wenn ich in einer fremden Stadt inszeniere. Ich finde, das macht das Leben lebenswert.
Auf einer abgelegenen Bank treffen Unbekannte aufeinander. Wie gehen Sie mit dieser statischen Bühnensituation, welche der Theatertext vorgibt, um?
Die Ausgangslage ist statisch, der Text ist es aber überhaupt nicht. Er nimmt einen mit auf eine grosse Reise durch Emotionen. Wir wollten aber nicht einfach eine Bank auf die Bühne stellen. Wir waren etwas ambitionierter. So verwandeln wir die Bühne in eine Backstube. Wir backen live während der Vorstellung über 300 Brötchen.
Brot als Symbol des Zusammenkommens, des Teilens?
Genau, es riecht auch sehr gut.
Können Sie uns etwas über die Kostüme verraten?
Ich kann Ihnen verraten, was ich mit meiner Kostümbildnerin, Maria Anderski, mit der ich jetzt schon jahrelang zusammenarbeite, besprochen habe. Mir schwebte etwas vor, was grosse Freude verbreitet. Wir dachten erst an eine italienische Hochzeit, die eine grosse Opulenz verströmt, schöne Farben, aber
die Kostüme sollten ein bisschen geschlechtslos sein, um eine kleine Künstlichkeit hineinzubringen, da die Figuren Kunstfiguren sind und keine alltäglichen Figuren. Die Figuren heissen «ein Ich», oder «ein Vaterloser» oder «eine Mutter», sie haben keine Vornamen. Also tragen alle 16 Figuren je ein Kostüm, das sie in jeder Rolle mehr oder weniger unverändert behalten. Alle sehen so aus, als wären sie in Erwartung eines sehr feierlichen, besonderen Momentes.
Was zeichnet für Sie Arne Lygres Dramatik aus?
«Zeit für Freude» ist ein erstaunliches Theaterstück, ein solches Stück habe ich noch nie gemacht. Er lässt mit Worten Figuren entstehen. Die gleichen Spieler sprechen den Text einer anderen Figur, ohne das Kostüm zu wechseln und man merkt, dass es sich um eine andere Figur handelt. Diese Präzision ist erstaunlich. Gefühle und Gedanken werden durch scheinbar saloppes Geplänkel transportiert, durch Alltägliches werden universelle Themen verhandelt. Das können die norwegischen Autoren sehr gut. Jon Fosse, der letztes Jahr den Literaturnobelpreis gewonnen hat, ist ein Autor, der ähnlich schreibt.
Was ist Ihre Vision vom Regieführen?
Ich arbeite immer mit den Spielerinnen und Spielern. Je nachdem mit wem ich es zu tun habe, sieht meine Arbeit entsprechend anders aus. Das ist mein Alltag. Eine Vision mitzubringen, ohne darauf zu achten, wer mit mir im Raum ist, funktioniert für mich nicht.
Wie empfinden Sie die Arbeit bei Bühnen Bern?
Es ist die Schweizer Erstaufführung dieses Stückes und auch die Schweizer Premiere von meinem Team und mir – mit einem überdurchschnittlich guten Ensemble.
Was mögen Sie an Bern?
Die Nähe zur Natur. Das Stück passt sehr gut nach Bern, weil ich hier mit den Leuten entweder superleicht ins Gespräch komme, wenn ich mit meinem Hund im Wald laufe – oder auch super schwer, wenn ich als Neue in der Nachbarschaft so ein bisschen misstrauisch betrachtet werde. Ich habe das Gefühl, das Private und die Familie sind hier sehr wichtig im Gegensatz zu Berlin, wo ich wohne. Ich glaube, die Norweger sind ähnlich. Da trifft man entweder Leute, mit denen man sofort auf Du und Du ist, und bei anderen braucht es unglaublich lange, bis man in Kontakt kommt.
«Zeit für Freude» verspricht gute Laune. Foto: Yoshiko Kusano
Vidmar 1, 4. Februar, 18.00 Uhr, 13. Februar, 19.30 Uhr, 25. Februar, 16.00 Uhr, 20. März, 19.30 Uhr, 27. März, 19.30 Uhr, 6. April, 19.30 Uhr. Weitere Infos: buehnenbern.ch