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Was richtet die Welt 2024 zugrunde?

Das Stück «Die Physiker» im Stadttheater Bern bleibt dem Original treu. Die ausgezeichnete Inszenierung lässt dem Publikum viel Platz für Interpretationen, die zum Jahr 2024 passen.

| Philippe Flück | Kultur
Theaterstück "Die Physiker".
David Berger, Claudius Körber und Vanessa Bärsch (von links). Foto: Florian Spring

Bei der Uraufführung des Stücks «Die Physiker» dürfte Friedrich Dürrenmatt wohl kaum geahnt haben, dass seine Komödie auch gut 60 Jahre später an Aktualität keineswegs verloren haben würde. Damals, im Jahr 1962, befand sich die Welt mitten im Kalten Krieg, und das Gespenst eines möglichen Atomkriegs flösste den Menschen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs Angst ein. 2024 präsentiert sich die geopolitische Lage wieder in einem vergleichbaren Zustand, und die Premiere vom Samstag im Stadttheater Bern zeigt durchaus aktuelle Diskussionen auf. 

Aus diesem Grund braucht Regisseur Mathias Spaan den Bogen gar nicht weiter zu spannen, um Themen anzusprechen wie künstliche Intelligenz (KI) oder Deep Fakes: Die Atombombe reicht auch 2024 noch. Freilich hätte diesem Umstand auch in der Stück-Einführung Rechnung getragen werden können, anstatt das Publikum mit wichtigen Fragen über KI zu konfrontieren, auf die aber im Stück selbst dann nicht eingegangen wird. 

Bühnenbild beeindruckt

Das Stück nimmt schnell Tempo auf, der Unterhaltungswert ist hoch. Eine besondere Erwähnung verdient das Bühnenbild: Das heruntergekommene Sanatorium gibt den richtigen «Vibe», wie sich das für Bühnen-Bern-Verhältnisse sehr junge Publikum gedacht ­haben dürfte. Nach dem ersten Akt sorgt das Bühnenbild selbst ausserdem für einen echten Gänsehautmoment. Mehr dazu soll hier nicht verraten werden, nur so viel: Die Arbeit der Bühnenbildnerin Anna Armann wäre alleine schon Grund genug, sich Karten für das Stück zu besorgen. 

Gänsehautmomente gibt es aber noch mehr. Den drei Physikern Möbius (Claudius Körber), Newton (Vanessa Bärtsch) und Einstein (David Berger) gelingt der Spagat zwischen Heiterkeit und Ernsthaftigkeit. Sie alle drücken ihrer Figur den eigenen Stempel auf, ohne dabei den von Dürrenmatt intendierten Charakter zu verfälschen. Ein Beispiel: Newton verabschiedet sich nach seinem ersten kurzen Auftritt
mit einigen ikonischen Zeilen aus Eminems Song «Lose Yourself» von der Bühne. Der Song wurde zwar 2002 veröffentlicht, erlebte aber in den letzten zwei Jahren auf TikTok und Instagram ein Revival. Mit solchen kleinen Details werden die Figuren ins 21. Jahrhundert katapultiert, ohne unglaubwürdig zu wirken. 

Bezüglich des Spagats kann der Faden weitergewoben werden zur Figur des Pflegers Peter (Jonathan Loosli). Er wirkt gleichzeitig witzig und furchteinflössend. Das meiste funktioniert dabei über seine Mimik, die zwar vieles verrät und dennoch einige unheimliche Eigenschaften der Figur zu verstecken scheint. Auch die Interaktion mit dem Inspektor (Martin Butzke) sorgt für gute Unterhaltung in einem über weite Teile witzigen ersten Akt. 

Tiefe kommt zum Schluss

Das Zusammenspiel der Figuren ist teilweise so lustig, dass die eingestreuten Slapstickeinlagen dagegen eher überflüssig wirken. Diese sind zwar mit Bedacht über den ganzen Akt verteilt, hätten aber ohne Verlust auch komplett weggelassen werden können. Die komischsten Momente des Stücks ergeben sich ohnehin vor allem aus den klugen Dialogen. So ist auch nicht viel gewonnen, wenn der Pfleger Peter das Sandwich des Inspektors unbeobachtet abschleckt und schadenfreudig zuschaut, wie dieser genüsslich reinbeisst. Da der Pfleger sowieso einen eher schelmischen, fast kindischen Charakter zutage legt, bricht das Necken des Inspektors zwar nicht mit der Figur, nimmt ihr aber etwas von der Bedrohlichkeit, die sie so spannend macht. 

Wie tief die einzelnen Figuren sind, zeigt sich dann im zweiten Akt. Dieser beweist die grossen Stärken des Stücks und dürfte einer der Hauptgründe sein, warum «Die Physiker» eines der meistgespielten Theaterstücke im deutschsprachigen Raum ist. Nach dem heiteren ersten Akt werden hier die grossen Themen angesprochen. Es ist auch der grosse Moment der Ärztin Dr. Zahnd (Isabelle Menke), die hier die Vielfältigkeit der Figur und der Schauspielerin dahinter eindrücklich zur Schau stellt.

Freiheit für das Publikum

Wie bereits zu Beginn dieser Rezension erwähnt, bleibt Regisseur Mathias Spaan sehr nah am Original. Damit gibt er dem Publikum die Möglichkeit, eigene Schlüsse aus dem Stück zu ziehen. Egal ob man bei der Atombombe bleibt, den Bogen weiter zu KI spannt oder mit Blick auf das Thema Wahnsinn und der Frage, wie weit Menschen zu gehen bereit sind, um ihre Ambitionen zu erfüllen, oder eher an Politiker wie Donald Trump denkt – die Parallelen zum Stück lassen sich ziehen. 

Was aber in jedem Fall bleibt, ist eine Inszenierung von «Die Physiker» der allerbesten Sorte, was über 60 Jahre nach der Uraufführung des Stücks keine Selbstverständlichkeit ist. 

 

Stadttheater: 18. Februar, 16.00 Uhr

22. Februar, 19.30 Uhr

24. Februar, 19.30 Uhr

17. März, 18.00 Uhr

6. April, 19.30 Uhr

12. April, 19.30 Uhr.

Weitere Daten:www.buehnenbern.ch 


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