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Der Geburtsprozess der Musik
Am 19. März startet das 49. Internationale Jazzfestival Bern. Der «Anzeiger» traf Hans und Benny Zurbrügg zum Gespräch über die lange Tradition des Festivals. Sie dürfen gleich zwei Jubiläen feiern: Hans Zurbrügg wird dieses Jahr 80, und Benny Zurbrügg obliegt seit 30 Jahren die Programmation von IJFB und Marians Jazzroom.
In der Lobby des Hotels Innere Enge trifft der «Anzeiger» Hans und Benny Zurbrügg zum Gespräch über das 49. Internationale Jazzfestival Bern, das ab dem 19. März während zehn Wochen internationale Jazzgrössen begrüsst.
Das Jugendstilambiente und die angrenzende Brasserie Josephine mit den weissen Tischtüchern, roten Vorhängen und Hängeleuchten im Art-déco-Stil lassen die 1920er-Jahre wieder anklingen, die Blütezeit des Swings, die mit der Entstehung der Big Bands verbunden ist.
In seiner Jugend konnte Benny Zurbrügg wenig mit Jazz anfangen. Jazz war die Musik von Vater Hans Zurbrügg, Kornettist und Leader der Berner Wolverines, der 1976 das Internationale Jazzfestival Bern (IJFB) ins Leben rief. Zusammen mit Ehefrau Marianne Gauer führt Hans Zurbrügg seit 1992 das Hotel Innere Enge, das zugleich Jazzmuseum ist – 15 von 26 Zimmer sind mit Andenken an die grössten Jazzlegenden ausgestattet, darunter Erinnerungsstücke an Milton Hinton, Bassist und Jazzlehrer, oder Pianist Ahmad Jamal, der mehrmals in Marians Jazzroom auftrat und dessen Stil viele Jazzmusiker beeinflusste.
Den Keller baute das Ehepaar zum legendären Marians Jazzroom aus, der seit 30 Jahren Grössen der Jazz- und Bluesszene eine Bühne bietet. «Zu erleben, wie im Moment Musik entsteht, wenn Talent und Technik sich vereinen und das Publikum dieses Geschenk honoriert, hat mich während der letzten Jahre am meisten geprägt», so Benny Zurbrügg. Wenn Musik eine solche Virtuosität erreiche, spiele auch das Genre keine Rolle. Er hört auch gerne klassische Musik und ist überzeugt, dass der Jazz der Klassik um nichts nachstehe. Seit genau 30 Jahren ist Benny Zurbrügg nun bereits für die Programmation des IJFB und des Marians Jazzrooms verantwortlich. Auch während der Coronakrise setzte er alles daran, Musiker und Publikum wieder zusammenzubringen, um der Entfremdung entgegenzuwirken. «Trotz Masken floss die Musik. Das hat sehr gutgetan», erinnert sich Benny Zurbrügg. Einzig 2020 musste das Festival vom Frühling in den Herbst verschoben
werden und konnte nur während vier Wochen stattfinden. Heute haben die Umsätze des Konzertbetriebs annährend das Vor-Corona-Niveau erreicht, die Gastronomie hinke jedoch noch hinterher. Die Planbarkeit sei schwieriger geworden, da das Publikum sich kurzfristig entscheide.
Jazz hält jung
Bis 2002 fand das IJFB als einwöchiges Festival im Kursaal Bern statt, der abendlich Platz für 1500 Besucherinnen und Besucher bot. 2003 fassten die Zurbrüggs einen mutigen Entscheid. Während die Musikfestivals rundherum expandierten und neue Festivals wie Pilze aus dem Boden sprossen, ging das IJFB «back to the roots» und verlegte die Konzerte in Marians Jazzroom, der 130 Plätze zählt. «Jazz ist schliesslich im Club entstanden», so Hans Zurbrügg. Während einer Woche bespielen die Musiker den Club, zehn Wochen dauert das Festival. «Dadurch konnten wir die Publikumszahl sogar erhöhen», so Hans Zurbrügg. Durchschnittlich verzeichnet das Festival jährlich 20 000 Besucherinnen und Besucher. «Heute wird unser Konzept von den grossen Jazzfestivals kopiert.» Die Musiker schwärmen von der familiären Atmosphäre in Marians Jazzroom, wo das Publikum nach den Konzerten mit den Musikern ins Gespräch kommen kann. Viele von ihnen gastierten über die Jahre hinweg regelmässig in der Inneren Enge.
Svend Asmussen habe noch mit 91 Jahren, unter ärztlicher Betreuung, darauf bestanden, zwei Sets à 75 Minuten zu spielen, erinnern sich die Zurbrüggs lachend. Der 89-jährige Saxofonist Houston Person ist erst letztes Jahr noch im Marians Jazzroom aufgetreten. Der in Bern lebende Schlagzeuger Billy Cobham, der mit Horace Silver und Miles Davis gespielt hat und am diesjährigen Festival auftritt, feiert bald seinen 80. Geburtstag. Auch der jamaikanische Pianomeister Monty Alexander, der in der letzten Festivalwoche im Marians Jazzroom gastiert, feiert im Juni seinen 80. Geburtstag. «Jazz ist extrem gesund», ist Hans Zurbrügg, der dieses Jahr ebenfalls 80 wird, überzeugt. Hingabe sei das Geheimnis. «Früher haben die Musiker abendlich drei, vier Sets gespielt – bis morgens um fünf. So entstand Qualität.» John Lewis brachte es jährlich auf 250 «1-Nighter». Das sei eine andere Herangehensweise gewesen als heute, wo viele Musiker ihren Lebensunterhalt mit einem Brotjob bestreiten.
Der Jazz kommt aus dem Bauch
Den Zurbrüggs ist es wichtig, den Jazz erfahrbar zu machen; er soll seinen Ursprung behalten, aus dem Bauch heraus gefühlt werden. Verkopfter Jazz, der ohne Ausbildung nicht zu verstehen sei, stehe nicht auf dem Programm des IJFB und Marians Jazzroom. Das Festival verschreibe sich jedoch nicht dem rein klassischen Jazz. So geniesst beispielsweise die Nachwuchsförderung einen hohen Stellenwert. Im Zelt spielen während der zehn Wochen Studierende der Hochschule der Künste Bern und Studierende der School of Jazz and Contemporary Music New York.
Um die Schwellenangst abzubauen, hervorgerufen von intellektuellen, zeitgenössischen Formen wie Experimental Jazz, empfiehlt Benny Zurbrügg Vanessa Collier, Sängerin und Multiinstrumentalistin, die in ihrer Musik Blues-, Funk-, Rock- und Soulelemente vereint – «zugänglich, ohne oberflächlich zu sein». Aber auch Billy Cobhams Fusion Jazz mit Rockeinfluss ziehe die Zuhörerin und den Zuhörer rhythmisch in seinen Bann. Oder dann wären da Tuba Skinny, ein Strassenkollektiv, das sich 2009 in New Orleans gebildet hat und bereits 2022 am Festival auftrat. Sie spielen New-Orleans-Jazz und Dixieland.
Wer den «Geburtsprozess» der Musik, wie Benny Zurbrügg den Livemoment beschreibt, begleiten möchten, sollte in den nächsten Wochen unbedingt einen Abstecher in die Innere Enge wagen. Dort könnte das Herz weit werden.
Internationales Jazzfestival Bern
Innere Enge, 19. März bis 25. Mai
Programm unter:
mariansjazzroom.ch