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«Anzeiger Region Bern»: Herr Gawrisch, wenn dieses Interview erscheint, feiert Ihr Stück in der Vidmarhalle Premiere. Wie geht es Ihnen damit?
Dmitrij Gawrisch: Die Vorfreude und die Nervosität sind gross. Was in meinem Kopf entstanden ist, wird auf der Bühne zum Leben erweckt. Ein grossartiger Moment. Das Ensemble um Loreta Laha, die Regie führt, hat sich den Text angeeignet, etwas Eigenes daraus gemacht. Als Autor bin ich dafür verantwortlich, dass der Text trägt. So richtig merkt man das erst, wenn man selbst im Publikum sitzt. Dann spürt man sofort, ob das Stück ankommt. Besonders bei einer Komödie. Wenn niemand lacht, beginne ich zu schwitzen …
Das Stück handelt von den Herausforderungen einer Patchworkfamilie. Sie sind von einem Ihrer beiden Söhne ebenfalls getrennt erziehender Vater. Haben Sie auch Ihre eigenen Erfahrungen miteinfliessen lassen? Und warum haben Sie sich für eine Komödie entschieden?
Das Thema Patchworkfamilie ist aufgrund einer vorangegangenen Trennung meist mit vielen negativen Gefühlen wie Schmerz, Angst oder Unsicherheit verbunden. Auf der Suche nach der richtigen Form für diesen Stoff stellte ich fest, dass ich diesen in ein anderes Gefühlsmedium übersetzen muss. Ich wollte die Muster und Strukturen einer Patchworkfamilie so herausarbeiten, dass man darüber lachen kann. Und ja, klar ist der Zugang zum Thema auch ein persönlicher. Sonst wäre ich wahrscheinlich gar nicht auf die Idee gekommen, darüber ein Bühnenstück zu schreiben.
Warum entspinnt sich der Konflikt in Ihrem Stück gerade um eine Dampfnudel?
Die Dampfnudel – ein dampfender Klumpen Hefeteig – passt als Metapher wunderbar zu dem, was im Text verhandelt wird. Ein feierliches Mahl; aber man muss gut aufpassen, dass man keine Fehler macht, sonst passiert es, dass die Dampfnudel in sich zusammenfällt.
Haben Sie schon früh angefangen zu schreiben?
Nicht unbedingt. Das Schreiben kam über das Lesen. Und davon wollte ich lange Zeit nichts wissen. Meine Mutter erzählt, dass ich als Kind ständig Hörspiele gehört habe. Doch Bücher interessierten mich nicht. Ich weiss nicht mehr, wie alt ich war, als ich über Science-Fiction-Reihen doch noch auf den Geschmack kam und bald auch erste Schreibversuche unternahm. Diese wurden schliesslich immer länger und vielseitiger – von Prosa über journalistische Texte und Essays bis zum Theaterstück …
… so, dass Sie sich nach Ihrem Studium in Betriebs- und Volkswirtschaft an der Uni Bern dazu entschieden haben, den Dramenprozessor am Theater Winkelwiese in Zürich zu absolvieren?
Die Weichen dafür wurden lustigerweise im Stadttheater Bern gestellt. Nach einer Aufführung, die ich dort besucht hatte, kam ich mit einer Schauspielerin ins Gespräch. Während wir uns darüber unterhielten, wie man lernt, Theaterstücke zu schreiben, merkte ich, dass die Nähe zum Theater, das Mittendrin-Sein, eine Voraussetzung dafür ist. Genauso wie man über das Lesen das eigene Schreiben formt, muss man Theater sehen und miterleben, um das Schreiben für die Bühne schulen zu können. Über den entstandenen Kontakt durfte ich schliesslich am Stadttheater Bern hospitieren.
Mit dem Erlernten schrieb ich eine Szene und bewarb mich damit für den Dramenprozessor. Ich wurde aufgenommen und lernte vertieft, Theaterstücke zu schreiben. In der Spielzeit 2022/23 war ich als Hausautor bei den Bühnen Bern tätig, eine äusserst lehrreiche Zeit, in der unter anderem auch die Dampfnudel entstanden ist. Für mich schliesst sich damit ein Kreis; es bedeutet mir sehr viel, in Bern die Uraufführung meines Stücks zu feiern.
Sie sind 1982 in Kiew geboren, in Bern aufgewachsen und leben heute in Berlin. Wofür stehen die drei Städte in Ihrer Biografie, und wie fühlen Sie sich ihnen verbunden?
Als Elfjähriger kam ich als Sohn ukrainischer Diplomaten nach Bern. Hier habe ich die Schule besucht, die Sprache gelernt und mich sehr darum bemüht, anzukommen. Als die Entsendung meiner Eltern nach sechs Jahren endete und sie wieder in die Ukraine zurückkehrten, entschied ich mich, in Bern zu bleiben. Als Endzwanziger wollte ich ausprobieren, wie es ist, in Berlin zu schreiben und zu leben – und bin dort, inzwischen mit Familie, hängen geblieben. Doch Bern ist nach wie vor meine Heimatstadt und Kiew der Ort meiner Kindheit. Ähnlich verhält es sich mit den Sprachen. Deutsch, Russisch und Ukrainisch sind meine Muttersprachen, meine literarische Sprache ist Deutsch.
Hat sich Ihre Beziehung zur Ukraine seit dem Kriegsausbruch verändert?
Ja. Mir wurde bewusst, wie viele Erinnerungen und wie viel von mir, meinem Wesen und meiner Identität mit der Ukraine, meinem Geburtsland und dem Ort meiner Kindheit, verbunden sind. Mein Herz blutet. Ich kann nicht wegschauen, ich habe Angst und spüre eine grosse Wut über die halbherzige Hilfe des Westens. Meine Tage beginnen immer mit Krieg, mit dem Checken von Nachrichten. Bei anderen Themen, die mich weniger direkt betreffen, gelingt es mir, meinen Medienkonsum zu kontrollieren. Hier nicht.
Vidmar 2, Bern, 3. April (ausverkauft), 10./17./24./27. April, 4./18. Mai,
jeweils 19.30 Uhr.
Weitere Infos: buehnenbern.ch