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Rap

«Privatiser doch es öffentlechs Pärkli u bou dr es Pop-up»

Mit neuen Songs im Gepäck sorgt die Fischermätteli Hood Gäng am Gurtenfestival für tanzbaren Rap mit Eurodancebeats.

| Bettina Gugger | Kultur
FHG
FHG sind Iroas, Migo und Pit (v. l.). Foto: Nik Egger

Sie sind aus der Schweizer Rapszene nicht mehr wegzudenken. Ihr besonderes Markenzeichen: Eine geballte Ladung Humor und Selbstironie. Vor zehn Jahren schlossen sich Iroas aka Poul Soul, Migo aka Frank Punk und Pit aka Noah Goa zur Fischermätteli Hood Gäng, kurz FHG, zusammen. Pit und Migo lernten sich im Ausgang kennen, indem sie so taten, als ob sie sich bereits kennen würden. Die Geschichte, dass sich die beiden im Sandkasten die Schaufel über den Kopf gezogen hätten, wovon Migos Narbe im Gesicht zeuge, hält sich hartnäckig. Migo und Iroas trafen sich zum ersten Mal auf einer Pool-Party, wo sie sich stundenlang Beats anhörten und über Rap diskutierten.
Ja, was ist eigentlich Rap? Auf eine Definition wollen sich die drei, die alle auch eigene musikalische Projekte verfolgen, nicht festlegen. «Der Rap lebt von Einflüssen», so Pit. «Der Rap hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Gesangselemente sind dazugekommen», fügt Iroas hinzu und Migo präzisert: «Traditionell hat sich der Hip Hop an anderen Stilen bedient und mit Samples eigene Beats produziert. Es ist logisch, dass die Entwicklung anderer Genres die der Rap-Beats ständig beeinflusst».

Kein klassicher Rap

Nach vier Mixtapes erschien 2020 ihr erstes Album, «Dr Bus isch da», mit Songs wie «Soziale Ufstig», der das bürgerliche Leben mit seinen Glücksversprechen auf die Schippe nimmt: «Pass uf bim Ufstig, z Wasser bis zum Hals sorgt für ne natürleche Uftrib», warnt FHG.
Für das neue Album, das noch diesen Sommer erscheint, hat Iroas komplett neue Beats produziert und Melodien komponiert, angelehnt an Eurodance, Trance und Techno. Das Album sei kein klassischer Rap, meint Migo. Aufgenommen hat FHG das Album im eigenen Tonstudio im Liebefeld, gemixt wird es von Producer Mondetto. Für das Mastering ist das Tonstudio Wattwil verantwortlich. Viel über das neue Album verraten wollen die drei nicht. Nur so viel: «Es gibt einen roten Faden».
Einen Vorgeschmack liefert der vor zwei Wochen veröffentlichte Song «Summer Beach» mit dem leicht kehligen Gesang von Pharago der eingangs einen zuckrigen Sommerhit verspricht. Das Versprechen wird natürlich ironisch gebrochen: «Dass me nüt cha druf steue, jedi Flächi abschregä, dass me nüm cha druf pennä, a jedäm Bänkli Armlehnä. Jedä Bätler azeige, Wäuder us Verbotsschilder, d Wäut steit dir doch offe hinder Betonwänd wie Zahnreihe…», rappt Migo. FHG kritisiert die Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes in ihren Lyrics, eine Konsumkultur, die sich als alternativ und kreativ tarnt: «Privatiser doch es öffentlechs Pärkli u bou dr es Pop-up, du bruchsch nur es paar Europalett u scho hesch ä Bar und es Sofa …» Ausgeschlossen bleiben die Besitzlosen: «Wär i auem nur z Schlächte suecht, findet nie sis wahre Glück. I gib der lieber positivi Energie mit aus mis Münz».
Die soziale Ungerechtigkeit und der Umgang mit psychisch kranken Menschen sind wiederkehrende Themen in ihren Songs. «Wir bringen zwar politische Inhalte rüber, sind aber keine rappenden Politiker», so Migo.
«Passt scho», der in Zusammenarbeit mit Jule X entstand und vor neun Monaten erschien, entführt in die Clubwelt. Harte Beats treiben die Lyrics voran und machen Lust auf eine Ausdehnung dieses Clubabenteuers, das die Schatten der Nacht auslotet: «Lueg mi a, bi kaputt u cha fasch nümme sta …»

Neues Format auf Patreon

Rap sei keine verbissene Sache, meinen die drei. Sie wollen etwas wagen. Was sie verbindet, sind ihre Freundschaft und der Humor. Sie treffen sich jeweils zu dritt, um die Grundidee und die Form eines neuen Songs herauszukristallisieren. Manche Songs schreiben sie auch zusammen wie «Finde z Wort nid». Inhaltlich gebe es selten grössere Diskussionen, da sie sich schon so lange kennen und politisch alle die gleiche Einstellung haben.
Auf Patreon haben sie ein Format entwickelt, wo sie ihre alten Mixtapes kommentieren, alte Textzeilen anpassen oder Passagen und Wörter auspiepen, hinter denen sie heute nicht mehr stehen. «Früher haben wir uns beim Texten weniger überlegt», so Pit, «Hip Hop ist auch eine Kultur des Mitmachens, man geht seinen Weg und probiert sich aus. Imitation gehört dazu. Einen eigenen Stil zu finden, ist ein längerer Prozess», so Migo. Viele der Zeilen, die sie heute nicht mehr toll fänden, seien 08/15-Rap-Zeilen. Den eigenen Stil haben sie zweifellos gefunden.
Ihre Videos produziert FHG mit möglichst geringem finanziellem Aufwand. Zum Teil werden auch externe Einsendungen verwendet wie im Video zu «Tätowiert u Vorbestraft» aus dem Jahr 2016, das ein gewisses Medienecho auslöste, da es dem Songtitel alle Ehre macht.
Den widerständigen Geist erhalten sie sich durch den Spass an der Sache, durch die Zusammenarbeit mit anderen Künstlerinnen und Künstlern und die Interaktionen mit dem Publikum. Und reich werde man in der Schweiz mit Rap ohnehin nicht, da sei das Risiko, durch finanziellen Erfolg korrumpiert zu werden, gering.

 

Gurtenfestival, Soundgarden, 20. Juli, 21.15 Uhr.
Infos: https://linktr.ee/fhg.bern

 

Vernähte Überbleibsel

Der Berner Migo hat sich als Rapper (Fischermätteli Hood Gang / Chaostruppe / Migo & Buzz) einen Namen gemacht. Seit einiger Zeit tritt er aber auch mit Werken anderer Kunstgenres an die Öffentlichkeit. Aktuell zeigt er im Kunstraum Volume in der Lorraine mehrere seiner Werke im Rahmen der Doppelausstellung Bubbles zusammen mit Andrea Cindy Raemy: Es sind genähte Patchwork-Arbeiten, mit denen Migo Personen aus seinem Umfeld mittels ihrer «Leftovers» – auf gut Deutsch Abfälle – in Lebensgrösse porträtiert.
Bereits an der Cantonale Berne Jura stellte Migo vier seiner Werke aus. Der Kanton Bern erwarb zwei seiner gezeigten Bilder.
Die Ausstellung wird von der Gallery Reflector verantwortet. (pd/fac)

Kunstraum Volume, Bern, bis 13. Juli, jeweils Donnerstag 17.30 bis 19.00 Uhr, Freitag und Samstag 15.00 bis 18.00 Uhr.
Infos: reflector.gallery

26 2024 Migo

Foto: Florian Spring


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