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Kisten überall

Unsere Kolumnistin Alice Galizia durchlebt bei den Umzugsvorbereitungen alle erdenklichen emotinalen Höhen und Tiefen - natürlich immer musikalisch unterlegt...

| Alice Galizia | Kultur
Alice
Foto: zvg

Kürzlich bin ich umgezogen. Und habe dabei alle obligaten Phasen durchgemacht, mit jeweils passender musikalischer Begleitung.

Phase 1: Betonte Gelassenheit. Alles kein Problem! Nächste Woche ist nächste Woche, also setze ich mich in die Frecciarossa, fahre für ein Wochenende nach Rom, lasse mich von der
Hitze aufsaugen. Soundtrack: Charli XCX und ihr neues Album «Brat», Schweiss, Hotpants, einige Gedanken übers Älterwerden und der Ersatz für ein Wochenende ohne Club. Lasst mich bloss alle in Ruhe.

Phase 2: Leise Nervosität, wenn bewusst wird, dass gerade mal eine halbe Woche bleibt zum Packen, Organisieren. Hier: das «Wicked Games»-Cover von Les Reines Prochaines, das im Römer MAXXI-Museum eine Installation von Pipilotti Rist begleitete und seither als Ohrwurm mitgondelt: «It’s strange what desire will make foolish people do.» Es geht gerade gar nicht ums Verliebtsein, aber eine ähnliche Entladung bahnt sich an.

Phase 3: Vollständige Krise, wenn die kurzfristigen logistischen mit all den emotionalen Problemen der letzten Jahre zur grossen Explosion kumulieren, gepaart mit Wut und Ohnmacht gegenüber dem kaputten Immobilienmarkt. Lucio Battisti: «Emozioni» und Heulkrämpfe bei jeder herausgekramten dummen Erinnerung, die in eine Kiste verpackt werden muss. Allein auf der Welt! Wohin mit mir! Ich muss mich verzehren!

Phase 4: Leichte Beruhigung, weil die Kisten zwar zu schwer sind, aber gepackt. Und sich natürlich doch eine Menge Leute gemeldet haben, die helfen kommen. Und weil Rennen hilft. Lola Young, «Messy»: Wohin mit mir?! Aber mit Stolz. Und die herausragende neue EP «This M Body-Ed» der Berner Künstlerin _pron0ia_, die dasselbe Gefühl mit völlig anderem Ausdruck verhandelt.

Phase 5: Euphorie! Ich bin komplett erschöpft, aber es wird alles gut. Neuer Ort, Verheissung, grosse Träume. Ein Album wie «I Can Hear The Heart Beating As One» von Yo La Tengo mit seiner Zuversicht, aber eigentlich könnte gerade alles.

Dann sitze ich zwischen den Kisten. Die Phasen sind vorüber, jetzt zeigt sich das Chaos von allen Seiten. Und Charli XCX singt mit Lorde im freundschaftlichen Schlagabtausch: «It’s so confusing sometimes / to be a girl». 

Oder wer auch immer.

 

Alice Galizia schreibt über Musik, zum Beispiel im KSB Kulturmagazin und in der WOZ, und veranstaltet Konzerte, zum Beispiel im Café Kairo. Sie lebt in Bern.

 


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