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«Mir geht es um den Fühlprozess»

Mit «Schattenspiel im Sternenlicht» erscheinen erstmals Sonja Laurèle Bauers «Gedankensprünge» in Buchform. Darin vollzieht die Autorin die Bewegung vom Abstrakten zum Konkreten. Inspiriert von der Weltraumforschung geht sie den existenziellen Fragen des Menschseins nach.

| Bettina Gugger | Kultur
Sonja Bauer
Sonja Bauer legt mit «Schattenspiel im Sternenlicht» eine Essay-Sammlung vor, die zum Nachdenken anregt. Foto: zvg


Bis vor einem Jahr schrieb Sonja Lau­rèle Bauer, Redaktionsleiterin des «Berner Landboten», eine wöchentliche Kolumne im damaligen «Anzeiger Region Bern», der neben den amtlichen Publikationen vier redaktionelle Seiten mit Gemeindenews beinhaltete.Mit der Zeit wurde die Kolumne immer länger und die Rückmeldungen der Leserinnen und Leser auf Bauers philosophisch-poetische Reflexionen immer zahlreicher. So entstanden über hundert «Gedankensprünge» von denen nun eine Auswahl unter dem Titel «Schattenspiel im Sternenlicht» im Berner Verlag Lokwort erschienen ist.
Bauer ist eine Vieldenkerin, die ihr Augenmerk auf all die Dinge richtet, über die der Alltagsblick und der Verstand viel zu oft hinwegschweifen. Ihr Interesse gilt den existenziellen erkenntnistheoretischen Fragen, dem Mysteriösen und nicht zuletzt den menschlichen Begegnungen, die all ihrem Schreiben zugrunde liegen. «Die Neugier auf Menschen hat mich zum Schreiben gebracht», so die Journalistin und Autorin, die ihre Laufbahn einst beim Südwestrundfunk begann und «schreibt, seit sie schreiben kann», wie sie sagt.
Inspiriert von Martin Rubin, Weltraumforscher und Planetologe und Leiter der Kometengruppe am Physikalischen Institut der Universität Bern, beginnt der erste Essay «Diese Sekunde, was tat sie mit dem Stern?» mit dem Urknall. «Was verbindet uns, unsere Materie, also unseren Körper und somit wohl auch unsere Seele, unseren Geist mit jener der Sterne?», fragt die Autorin. Ihre Gedanken handeln vom Werden und Vergehen, von Raum und Zeit und dem unerklärlichen Nichts, aus dem alles hervorgeht und das, so Bauer, ein grosses Versprechen berge. Diesem Versprechen ist aber auch unsere grösste Furcht eingeschrieben: die Angst vor dem Tod. Im Essay «Sterben wir Menschen wie die Sterne?» entwirft Bauer den Gedanken, dass wir Menschen beim Sterben womöglich unsere Energie den Sternschnuppen gleich an unsere Liebsten weitergeben. Ihre philosophischen Überlegungen verwebt sie mit der berührenden Schilderung des Abschiednehmens vom geliebten Vater, der mit 90 Jahren auf dem Sterbebett ausrief: «Herrgott, muss ich schon sterben?»

Die empathische Beobachterin

Bauer steigt literarisch in die Abgründe, erforscht Unfreiheit und Krankheit und findet wieder zum Tagträumen zurück, dessen Kontigent sie «aufgebraucht» zu haben meint. «Mir gelingt das Tagträumen höchstens noch zum eigenen Amüsement. Dann, wenn ich das kalte Licht der Realität auf Humor dimme. Einer der wenigen Vorteile. Man träumt, wenn man älter ist, von aussen nach innen, nicht mehr von innen hinaus. Ist eher Kamerafrau als Hauptdarstellerin, was enorm hilfreich sein kann, aber eben auch ziemlich fade.»
Fade sind die darauffolgenden Schilderungen von Naturbetrachtungen, Reisebekanntschaften und Begegnungen keineswegs. Hier zeigt sich die Beobachtungsgabe und Empathie der leidenschaftlichen Journalistin und der Autorin, die in den Details die Quellen von Poesie ausmacht.
Da ist beispielsweise der alte Professor, der sich mit niemandem mehr austauschen kann: «Es sei so kühl in ihm, so, als hätte sich das Blut bereits zurückgezogen. Keiner seiner Gedanken könne sich an jenem des Gegenübers reiben, geschweige denn entzünden. Die Asche in seinem Kopf sei kalt. Er friere.» Oder der alte Native American, dessen «Runzeln Gräben in sein Gesicht trugen wie die Sonne in die durstige Erde», der den Reisenden vorwirft, bloss nach Las Vegas zu fahren, um das Wasser des Colorado River und der Natives aufzubrauchen. Bauer beschreibt den Schmerz über die verlorene Kultur der nordamerikanischen Urvölker, indem sie den Mann selbst zu Wort kommen lässt: «Was nützt uns euer Interesse? Ihr geht nun weg und zurück in euren Wohlstand, was schert ihr euch um unser Schicksal? Vielleicht seid ihr kurz betroffen, aber bereits nach der nächsten Kurve habt ihr uns vergessen.»
Dem Untergang jener Kulturen stellt Bauer die Einsamkeit der Jugendlichen gegenüber: «Mit ihren tausend ‹Likes› und ‹Freunden›, eingesperrt in kleine Käfige, die wir Handys nennen, mit künstlichem Lachen und Lippen, von denen bereits die Farbe bröckelt, während die Zeit so laut in die Ewigkeit fällt, dass ihr Echo die jugendliche Seele schneller verschrumpelt lässt als Kinderhände alte Märchenbücher.» Mit Grauen blickt sie dieser neuen Welt entgegen, in der nicht mehr der eigene Herzschlag den Lebensrhythmus vorgibt, sondern blutleere Avatare durch ihre Spuren im Netz.

Vom Abstrakten zum Konkreten

Die Verbundenheit mit der Natur und die Liebe zu den Tieren zieht sich wie ein Subtext durch die Essay-Sammlung; die Autorin berichtet, wie sie einer entkräfteten Biene mit einem Tropfen Sirup zu neuer Energie verhilft, oder sie erzählt vom Versuch, mittels Aufnahmen von Adlergeschrei die Jungen der Mauersegler vor den Krähen zu retten. Der Versuch missglückt. Die Krähen ziehen nur kurzfristig ab – nämlich um Verstärkung zu holen.
Die Essays vollziehen eine Bewegung von abstrakten Gedankengängen über unseren Kosmos hin zu packenden Erzählungen, die das zuvor Skizzierte konkretisieren und doch immerzu neue Fragen aufwerfen. Auch das Übersinnliche findet darin Platz, beispielsweise in Gestalt der Gitane, welche der damals 21-jährigen Autorin, die unter Berns Lauben Blumen verkaufte, um sich die nächste Reise zu finanzieren, die Zukunft voraussagte.
Obwohl sich Himmel und Erde in Sonja Laurèle Bauers Texte berühren, hält die Autorin fest, dass sie Agnostikerin sei: «Mir geht es nicht um Antworten, sondern um den Fühlprozess und die Kraft des Willens.»
In diesem Sinne fügen sich die Sätze des letzten Essays, indem Bauer ganz zur unbeteiligten Beobachterin wird, wieder mit dem Anfang zusammen: «Wir alle nehmen ins Grab, was (von uns) übrigbleibt. Und lassen das ganze gelebte Leben auf der Welt, bei den Lebenden zurück. Bereichern ihre Erinnerung wie Tage, die vergingen. Und das ist viel, das ist das, was die Welt und unser Leben ganz zusammenhält.»

«Schattenspiel im Sternenlicht», Lokwort Buchverlag, Bern, 2024. Erhältlich im Buchhandel oder bei der Autorin: geschichtenatelier.ch

Bibliothek Münsingen, 6. September, 19.30 Uhr, Buchvernissage mit Apéro und Musik. Anmeldung: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.


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