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«Aber auem misstroue, won i lise, chan i o nid»
«Mit Hüener lachen angers» legt Guy Krneta eine Prosa-Sammlung vor, die das kulturelle, soziale und politische Leben in der Schweiz unter die Lupe nimmt. Die vielstimmigkeit der Texte, denen oft eine profunde Recherche zugrunde liegt, machen «Hüener lachen angers» zu einer kurzweiligen Lektüre, die das Bewusstsein fürs Berndeutsche schärft.
Mit «Hüener lachen angers» tauchen wir ein in Guy Krnetas Deutschschweiz und den Kosovo, leiden mit dem Erzähler an Mitgliederversammlungen mit, begleiten Elterngespräche oder ein Sterben auf Facebook; François war Juniorenschweizermeister im Degenfechten. «Eine vo den erschte Posts het e risigi Narbe zeigt, quer übere Buuch nach eren Operazion (…) Gäg di füftuusig Friends het dr François denn scho gha, wonr täglech, schtündlech über si Gsundheitszueschtang informiert het.» Den Mitlesenden sei klar gewesen, dass es für ihren Facebook-Freund keine Hoffnung gebe, aber alle wünschten sie ihm Kraft. Das Bild, das François tot im Bett zeige, sei am meisten geliked worden.
Es ist unter anderem dieses Oszillieren zwischen dem Tragischen und dem Komischen, das eine Sogwirkung entfaltet. Entstanden sind die Texte der berndeutschen Prosasammlung während der letzten sechs Jahre, im Rahmen der «Morgenschichten» von SRF 1, Theaterprojekten, Lesungen und Kollaborationen mit anderen Künstlerinnen und Künstlern.
Das Surreale und Absurde liegt auch den Texten im Kapitel «Liebesschlösser» zugrunde. In der gleichnamigen Geschichte hofft Dominic, der bei jeder neuen Liebschaft ein Liebesschloss an einer bestimmten Brücke anbringt, dass seine neuste Eroberung seine früheren Schlösser nicht entdeckt. Ein anderer Verliebter schenkt seiner Geliebten einen Sturm – auf dem Balkon stösst das Paar mit einer Flasche Champagner auf das Geschenk an, bis es «d Fläsche vom Tisch prätschet». Ein Entliebter wiederum lässt seinen Bekannten zu seiner Scheidung eine Wunschliste zukommen, da ihm ja nun Möbel und Haushaltsgeräte fehlen.
Vom Impuls, Berndeutsch zu schreiben
Nach den Liebesschwüren und -dramen reisen wir mit dem Autor an Lesungen und erfahren in der Titelgeschichte «Hüener lachen angers uf Französisch», was dem Autor, Gründungsmitglied der Berner Autorengruppe «Bern ist überall», den Impuls gab, konsequent auf Berndeutsch zu schreiben. In einem Theater in Lausanne liest der Autor die französische Übersetzung eines seiner Texte, so wird uns erzählt. Während dem Lesen machen sich seine Gedanken selbständig; er fragt sich, ob nicht jeder Text eine Übersetzung von früheren Texten sei und der Autor erinnert sich an seine Jugend, als er versuchte mit seiner Gitarre neue Melodien zu komponieren und einsehen musste, dass all die Melodien, die er meinte, komponiert zu haben, nicht neu waren. Und so versuchte er sich an einer Komposition für Baumaschinen, bis er auch da resignierte, weil in der Vergangenheit wahrscheinlich schon andere einen ähnlichen Versuch unternommen hatten. «U i ha tänkt, dass das eine vo de Gründ isch, werum i aagfange ha, Mundart z schribe. Wüu mi d Wörter ir Mundart no nid so abgriffe tünkt hei.»
Er schreibe keine Rollenprosa, meint Krneta im Gespräch mit dem «ARB». «Die Mundart kommt ohne klare Figur aus. Die Sprache selbst erzählt.» Sein erstes berndeutsches Lied habe er mit 13 auf der Ukulele komponiert. Über die Liedermacherszene, inspiriert von Fritz Widmer, Tinu Heiniger und Urs Hostettler wagte er sich während seines Studiums der Theaterwissenschaft in Wien an erste berndeutsche Gedichte. In Bern studierte er Medizin, entschied sich aber fürs Theater. Er begann als Regieassistent, wurde stellvertretender Leiter des Theaterfestivals Auawirleben, Dramaturg und Theaterautor. Seit den 2000er-Jahren tritt er regelmässig in unterschiedlichen Konstellationen als Spoken-Word-Autor auf.
Krneta ist ein leidenschaftlicher Rechercheur, der sich stets neue Felder erschliesst. In einer Vogelporträt-Reihe lässt er etwa einen Ornithologen zu Wort kommen, der vom «Gugger» berichtet, der noch nicht gemerkt hat, dass es früher wärmer wird und er deshalb früher «von seinem Äquator» zurückkehren sollte, um seine Eier in fremde Nester zu legen: «Ke Vogu isch bereit, wenr scho Jungi het, äxtra no mau härezhocke, fürnes einzigs Ei uszbrüete vomne angere Vogu.»
Guy Krneta ist aber auch ein politischer Autor, der sich in öffentliche Debatten einmischt und kulturelle Institutionen und Strukturen mitprägt. Er initiierte das Schweizerische Literaturinstitut und setzt sich unter anderem im Vorstand des Vereins ch-intercultur für den Kulturjournalismus ein.
«We öpis ir Zitig schteit,gits e Grund»
Ein eigenes Kapitel widmet Krneta den Medien, angestossen durch die damalige Übernahme der BaZ durch Christoph Blocher; in einem Kündigungsschreiben, adressiert an den Chef
redaktor einer «Qualitätszeitung», äussert ein «selbsternannter Qualitätsleser» seinen Frust über den Qualitätsverlust der Printmedien: «We öpis ir Zitig schteit, gits e Grund, werums dert schteit. Wüu öper drfür zaut het. Wüu öper wott, dass di Gschicht so ir Zititg schteit. U (wüu) z weni drfür zahle, dass ir Zitig Gschichte chöi schta, wo niemer drfür zaut het.» Der Chefredaktor antwortet dem enttäuschten Leser: «Dir sit eifach eine meh vo denen ix-Milliarde Deppe, wo sech im Internet u i Soziale Medie, wo i Wahrheit Asoziali Medie si, lö la Artikle empfäle (…) aber scheeret nech e Dräck drum, wohär di Artikle schtamme …».
Einen Ausweg aus der Misere, in der sich Printmedien mit kostenlosen Online-Inhalten «selbst kannibalisieren», hat der Chefredaktor nicht anzubieten. Bleibt also nur das Scrollen: «I scrolle. I scrolle witer. I like. I luege. I scrolle. U i weiss, dass i däm, won i hie lise, nid cha troue. I cha nid auem troue, won I lise. Aber auem misstroue, won i lise, chan i o nid .»
Sphären des Zusammenlebens
Krneta berichtet aber auch von den Verlierern der Schweizer Migrationspolitik wie jenem Mann aus dem Kosovo, dem nach dem Krieg die Aufenthaltsbewilligung entzogen wird, nachdem er 10 Jahre im Detailhandel gearbeitet hat. Später kehrt er in die Schweiz zurück, arbeitet ohne Papiere auf dem Bau, um seine Familie im Kosovo zu ernähren, bis er bei einer Strassenkontrolle auffliegt. «Är heig doch nume das gmacht, wo aui machi ir Schwiz: Är heig gschaffet.»
Es sind die vielen Stimmen, Nuancen und Schattierungen, die «Hüener lachen angers» zu einer Entdeckung machen; im Bekannten offenbart sich Neues. Das Neue teilt sich durch den Gestus des scheinbar Vertrauten mit. Krneta pendelt zwischen Konkretem und Abstraktem, switcht zwischen den Sphären der Natur, des Sozialen, des Politischen und schafft immer wieder Raum für das Poetische wie in «Wen i dänke», inspiriert von Robert Walser:
«U dr See ligt da, wi wenr würd schlafe. Win es Hirni, wo dänkt, chan i dänke. Gäbs Wind, hätts Wäue. Wüu das nid dr Fau isch, gseht dä See uus win es Schtück Himu. Wuuke triben ufem See. (… ) Wett ig ire Wäut läben ohni Frage? Wett ig ire Wäut läbe ohni Antworte?»
La Cappella, Bern, 16. September, 20.00 Uhr, «Hüener lachen angers» mit Daniel Woodtli, Première.
«Hüener lachen angers», Zytglogge Verlag, 2024.